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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Carter
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sich zurückzog, um sich für die Messe vorzubereiten, straften die anderen Kirchgänger uns mit Missachtung. Allen voran die Farmsons, was im Grunde nicht besonders verwunderlich war, wenn man bedachte, dass Mrs. Farmson die Säure mitgebracht hatte.
    Doch es kam noch schlimmer. Als Mom, Tiffany, Josh und ich uns setzten, standen die anderen in der Reihe geschlossen auf, um sich neue Plätze zu suchen. Wir blieben die Einzigen auf der langen Bank. Als Chester und Jane mir zuwinkten, bekamen sie prompt Schelte von ihren Eltern.
    In einem entlegenen Winkel meines Inneren konnte ich Fon Pyres Stimme hören: »Habe ich es dir nicht gleich gesagt?«
    »Stuart«, flüsterte meine Mutter mir zu und zog einen Zettel aus ihrer Handtasche. »Father Reedy hat das hier gestern für dich abgegeben.«
    Fragend blickte ich sie an. Schließlich nahm ich das Blatt und las die Nachricht. Und las sie gleich darauf noch mal. Ich sah zu Mom. Sie nickte kurz und wandte sich ab, um sich mit einem Taschentuch die Augen abzutupfen.
    Ich musste einen Augenblick nachdenken. »Ich gehe …«, sagte ich dann und versuchte es sofort erneut: »Ich gehe mal zur Toilette.«
    »Das fällt dir aber ein bisschen spät ein«, meckerte Tiffany mich an. »Die Messe kann jeden Augenblick anfangen.«
    Das glaube ich kaum, dachte ich und schaute zu Mom. Sie wusste Bescheid. Vermutlich hatte sie gestern Abend alles Nötige mit Reedy besprochen. Sie erwiderte meinen Blick flüchtig, ehe sie den Kopf senkte.
    Anschließend wandte ich mich meinem kleinen Bruder zu. Josh betrachtete mich, und mir war klar, dass er wusste, dass etwas im Busch war.
    »Bis bald, kleiner Bruder«, raunte ich, erhob mich und ging los.
    An der Tür drehte ich mich ein letztes Mal um. Ich fing Chesters Blick auf und sah ihm einen Moment lang in die Augen, ehe ich durch die Tür schritt.
    »Können wir los?«, fragte Father Reedy, der bereits im Kirchenfoyer auf mich wartete. Statt seiner Predigerkluft trug er ein blaues Hemd, eine khakifarbene Freizeithose und eine Lederjacke. Er sah aus wie jemand, der zu einer Reise aufbrach. Und ich würde ihn begleiten.
    »Lieber jetzt als gleich«, antwortete ich und folgte ihm nach draußen. »Könnten wir kurz bei mir zu Hause anhalten, damit ich ein paar Sachen einpacken kann?«
    »Schon erledigt«, sagte Reedy und deutete auf sein Auto.
    Daneben entdeckte ich Fon Pyre, der auf einem der alten Koffer meiner Mutter stand. Seit unserem Umzug nach Ice Lake hatte ich das Ding nicht mehr gesehen.
    »Sind Sie sich auch ganz sicher, dass die Leute hier meine Familie besser behandeln, wenn ich nicht mehr da bin?«
    »Das hoffe ich zumindest«, antwortete Reedy. »Die Ereignisse vom vergangenen Freitag haben mein Bild von der Gemeinde allerdings gründlich erschüttert. Aber ich bin mir sicher, dass deine Familie mehr zu leiden hätte, wenn du bleiben würdest.«
    »Wohin fahren wir eigentlich?«, erkundigte ich mich.
    »Ich habe Verwandte in Orillia«, erwiderte Reedy. »Dort können wir fürs Erste unterkommen. Bis wir unsere nächsten Schritte geplant haben und …«
    »Stu! Stu!«
    Ich fuhr herum und sah Chester, der auf uns zugerannt kam.
    »Stu, warte, fahr noch nicht!«, rief er und kam kurz vor mir schlitternd zum Stehen. »Ihr wollt abhauen, stimmt’s? Also, ihr wollt die Stadt für immer verlassen, meine ich.«
    »Deine Auffassungsgabe ist wirklich nicht von dieser Welt«, bemerkte ich augenzwinkernd.
    »Ist ja schon gut«, meinte Chester. »Tja, äh, kommt ihr denn wieder?«
    »Vorerst nicht«, gab Reedy zurück.
    »Oh«, sagte Chester. »Das ist ziemlich … schade. Ich meine, du und ich, wir … wir sind uns doch nähergekommen und …«
    »Jetzt küss ihn endlich«, unterbrach Fon Pyre ihn leicht genervt.
    Und genau das taten wir dann auch. Es war großartig. Und bittersüß. Immerhin würde ich ihn für eine ganze Weile nicht sehen. Und für wie lange, das wusste niemand so genau.
    »Schaffst du das?«, fragte ich ihn. »Nach allem, was geschehen ist, meine ich.«
    »Ich pack das schon«, versicherte Chester mir. »Solange ich den Herrn auf meiner Seite habe, ist alles … Ach, das willst du sicher gar nicht hören, oder?«
    »Ich verlasse die Stadt mit einem Ex-Priester«, sagte ich. »Früher oder später muss ich mir so was in der Richtung sowieso anhören. So langsam glaube ich sogar schon, dass ihr doch irgendwie recht habt.«
    Immerhin wusste ich bereits, dass es einen Gott gab. Fon Pyre hatte es mir vor einiger Zeit bestätigt.

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