Böses Blut der Vampire
junge Frau hatte ihn so seltsam angesehen, nicht ablehnend, sondern abschätzend. Als ob sie sich ein Urteil bilden wollte. „Weißt du, der Tag war heftig genug, ich hab mich wirklich auf den Sport gefreut. Mal wieder so richtig auf dem Laufband und an den Geräten auspowern. Morgen habe ich keine Vorlesung am Vormittag, hätte mich ausschlafen können. Heute Vormittag hatte ich noch einen Einsatz mit der Ambulanz, übrigens ganz in der Nähe. Kleiner Unfall in der Beethovenallee, eine Frau hatte eine Radfahrerin übersehen.“ „War es schlimm?“, fragte Jan mitfühlend. „Das ganze Blut, so direkt vor der Nase? Der Job, den dir Dr. Broich besorgt hat, ich frage mich öfters, ob das sein muss?“ „Nein, daran habe ich mich gewöhnt. Wenn ich später mal operieren will, kann ich ja auch nicht über die Blutkonserven herfallen.“ Jan lachte. „Wer weiß? Ich stelle mir das grad vor. Eine Durchsage aus dem OP: Drei Einheiten Null negativ für den Patienten, und eine für Dr. Buchari, er operiert jetzt seit drei Stunden und hat Durst. Ich sehe schon die OP-Schwester, die dir die Stirn abtupft, die Brille putzt und einen Beutel mit einem Trinkschlauch hinhält. Alle anderen Assistenzärzte halten sich während ihrer Bereitschaftsdienste mit Kaffee wach, du gehst in die Blutbank. Fang schon mal an, dich mit den Schwestern gut zu stellen, sonst bekommst du nur die abgelaufenen Konserven.“ „Blödmann. Bis ich selber operiere, brauche ich noch mindestens drei Jahre. Jedenfalls, um auf die Radfahrerin zurückzukommen, die Frau war gestürzt und hatte eine böse Schürfwunde im Gesicht. Ich wollte sie reinigen und da hat die mich angepampt, ob ich überhaupt kompetent sei.“ „Und was hast du ihr gesagt?“ „Naja, dass ich durchaus in der Lage wäre, eine Wunde zu reinigen. Schließlich haben wir in der Ambulanz alles dabei für solche Fälle. Da sagt die doch glatt, Kleiner, an mein Gesicht kommt nur ein richtiger Arzt. Ich solle sie sofort zum nächsten Arzt bringen.“ Jan begann zu lachen. „Und du bist …“ „… zum nächsten Arzt gefahren. Schließlich ist der Wunsch des Patienten Befehl“, vollendete Elias den Satz mit einem breiten Grinsen. „Und der andere Assistent war auch der Meinung.“ „Doch nicht etwa zu …?“ „Aber sicher, sie war schließlich die nächste erreichbare Ärztin und ich weiß ja, dass sie außer unserem Kater dich auch schon mal versorgt hat“, grinste Elias etwas boshaft und fuhr dann fort. „Die Radfahrerin war ziemlich sauer, als sie erkannte, dass wir vor einer Kleintierpraxis standen. Lag ja auf dem Weg. Ich hab ihr gesagt, dass ich Dr. Simon voll vertrauen würde, sie hätte schon so manches Mal unseren Kater entwurmt und auch die örtlichen Landwirte würden ihre Schweine von ihr impfen lassen.“ „Das hast du zu ihr gesagt?“, grinste Jan ungläubig grinsend. „Du hast von Schweineimpfungen und Lagerfelds Entwurmung gesprochen?“ „Naja, sie tönte, dass man sie für Shopping Queen gecastet hätte und ihr Gesicht sei ihr Kapital. Ich habe sie dann überzeugt, dass ich für die Versorgung dieser oberflächlichen Schürfwunde keinen Doktor bräuchte und keine Schönheits-OP auf dem Plan stünde.“ „So eine Tusse!“, meinte Jan. „Für Shopping Queen gecastet! Also wirklich. Da hattest du ja einen echten Z-Promi an Bord.“ „Nicht lange. Sie hatte sonst nichts weiter, wir habe sie dann ins Krankenhaus gebracht und später hat mir der Chef dann den Kopf gewaschen. Anscheinend hat sie gepetzt, die blöde Kuh. Er hat mir einen Vortrag gehalten über den Umgang mit schwierigen Patienten und mich gefragt, was ich getan hätte, wenn sie schwerer verletzt gewesen wäre. War sie nicht, aber ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass ich das gerochen hätte. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch besser eine Laufbahn als Oud-Komponist hätte einschlagen sollen.“ Elias seufzte und rieb sich die Schläfen. Manchmal sehnte er sich sehr nach der Zeit, wo er bei Faris Lamine in Tunis und Kairouan Unterricht auf der Oud genommen hatte. Auf dem Instrument zauberte er Klänge, mit denen er seine Hörer in ein Reich entführen konnte, wo er der unumstrittene Herrscher war. Wo er die Leute eine Zeit lang vergessen machen konnte, wie hart der Alltag sein konnte. Das Medizinstudium, für das er sich entschieden hatte, war so anstrengend, dass er immer weniger dazu kam, auf seinem Instrument zu spielen. Anfangs hatte er gelegentlich sogar den einen oder anderen
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