Boeses Mädchen
zu Hause?« fragte ich aufs Geratewohl.
»Herr Bildung ist kein Doktor, er ist Fabrikant. Und wer sind Sie?«
»Eine Freundin von Christa.«
»Sie wollen Mademoiselle Bildung sprechen?«
»Nein, danke, nein. Ich möchte sie überraschen.«
Das einzige, was die Dame wohl davon abhielt, die Polizei zu rufen, war mein kindliches Aussehen.
Ich wartete, bis sie verschwunden war, und machte schnell ein paar Aufnahmen von dem Haus.
Dann ging ich in eine der Bars und fragte nach dem Telefonbuch. Ich blätterte in den gelben Seiten und fand schließlich die Fabrik von Christas Vater: »Bildung – Dünger, Chemikalien, landwirtschaftliche Produkte«. Umweltverschmutzer, die keiner braucht. Ich schrieb mir sämtliche Angaben und alle Standorte auf.
Warum hatte die Dame von der Telefonauskunft behauptet, es gebe niemanden dieses Namens in der ganzen Region? Vielleicht, weil gerade in der Gegend, wo sich ein Wirtschaftsunternehmen einen Namen gemacht hat, dieser nicht mehr als Familienname gilt, sondern als Marke, wie Michelin und Clermont-Ferrand.
Jetzt hielt mich nichts mehr in der Stadt des Bösen. Ich fuhr zurück nach Brüssel. Der Schnee löschte die Landschaft aus. Ich fand, es war kein verlorener Tag.
Zwei Tage später waren die Fotos entwickelt.
Als ich meinen Eltern die Wahrheit enthüllen wollte, schämte ich mich für die Rolle, die ich in dieser Geschichte spielte. Der Grund dafür war nicht, daß Christa gelogen hatte – nicht jede Lüge ist verwerflich –, sondern daß ich ihren Wunsch, uns zu vernichten, für grenzenlos hielt.
Ich bat meine Eltern in den Raum, der einst mein Zimmer gewesen war, und begann zu erzählen.
»Bist du jetzt unter die Schnüffler gegangen?« fragte mein Vater verächtlich, als ich ihnen meine Fotos vom eleganten Haus der Bildungs zeigte.
Ich hatte mit so etwas gerechnet.
»Ich hätte das nicht gemacht, wenn sie nicht schlecht über euch geredet hätte.«
Meine Mutter war völlig aufgelöst.
»Das muß eine Verwechslung sein! Das ist eine andere Christa!«
»Die auch einen Freund namens Detlev hat? Das wäre ein komischer Zufall.«
»Sie hat vielleicht einen Grund zu lügen«, mutmaßte mein Vater.
Ich fand ihr Bemühen, Rechtfertigungen für Christa zu finden, geradezu bewundernswert.
»Welche zum Beispiel?«
»Wir werden sie danach fragen.«
»Damit sie euch ständig neue Lügen auftischt?«
»Das wird sie nicht tun.«
»Und warum nicht?«
»Weil wir sie mit der Wahrheit konfrontieren werden.«
»Und ihr glaubt, daß sie dann damit aufhört? Das glaube ich nicht, sie wird euch nur noch mehr belügen.«
»Vielleicht schämt sie sich für ihre Herkunft«, sagte mein Vater. »Das gibt es auch bei Reichen, man kann es sich ja nicht aussuchen, wo man hineingeboren wird. Wenn sie ihre Familie verheimlicht, weil sie damit ein Problem hat, sind ihre Lügen auch nicht so schlimm.«
»Du vergißt Detlev«, warf ich ein. »Dabei ist er das einzig Sympathische an Christa, ein netter Dicker, der sicher nicht aus bürgerlichen Kreisen stammt. Wenn sie ihn so dargestellt hätte, wie er ist, würde ich dir deine Geschichte vom Sozialkomplex sogar abnehmen. Aber nein, sie macht ihn zum Ritter, vornehm, tapfer, schön und geheimnisumwittert. Daran sieht man doch, daß es ihr nie darum ging, klein und bescheiden zu wirken.«
Ich zeigte ihnen ein Porträt des belgischen David Bowie. Mein Vater grinste ein bißchen. Meine Mutter reagierte völlig unerwartet. Sie stieß bei Detlevs Anblick einen Entsetzensschrei aus und rief: »Warum hat sie uns das angetan?«
Damit hatte Christa eine Verbündete verloren. Ich wunderte mich nur darüber, daß ein Freund mit einem Ferkelgesicht meine Mutter offenbar viel mehr schockierte als Christas Versuch, sich mit einer erlogenen proletarischen Herkunft bei uns lieb Kind zu machen.
»Ihre Geschichten über den Jungen sind ein bißchen lächerlich, mag sein, aber das sind Mädchenträume«, sagte mein Vater. »Sonst hat sie uns vielleicht gar nicht so viel vorgelogen. Wahrscheinlich finanziert sie ihr Studium wirklich selbst, um ihrem Vater nichts schuldig zu sein. Und daß ihr Freund aus einfachen Verhältnissen stammt, spricht nur für diese Annahme.«
»Aber es macht ihr nichts aus, bei ihren Eltern zu wohnen«, widersprach ich.
»Sie ist doch erst sechzehn. Sicher hängt sie an ihrer Mutter und ihren Geschwistern.«
»Statt uns etwas zurechtzureimen, könnten wir doch ihren Vater anrufen«, schlug ich vor.
Meine Mutter schaute
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