Boeses Mädchen
inzwischen fast meinen ganzen Schrank in Beschlag genommen; all meine Sachen mußten in der Sockenschublade Platz finden, die nun mein letzter Hort war.
Das Expansionsbedürfnis meines Quälgeists kannte keine Grenzen; die Verdrängung war fast vollkommen. Sogar das Klappbett, in dem ich gnadenhalber schlafen durfte, verschwand unter Haufen antichristischer Kleider.
Meine Eltern plagte anscheinend das dringende Bedürfnis, Christa der ganzen Welt vorzuführen. In steinzeitlichen Adreßbüchern suchten sie nach Namen von Freunden, die sie zum Essen einladen könnten. Bald drängten sich an drei Abenden pro Woche lärmende Massen in der Wohnung, die einst so wunderbar still gewesen war, und meine Eltern wurden nicht müde, Christas unzählige Tugenden zu rühmen.
Mit ihrem bescheidensten Lächeln gab Christa die Tochter des Hauses. Sie fragte jeden, was er zu trinken wünschte, und brachte das Tablett mit den Sakuski. Sämtliche Gäste hatten nur noch Augen für dieses hinreißende Geschöpf. Nur selten geschah es, daß jemand mich entdeckte und meine Eltern fragte, wer denn das andere Mädchen sei.
»Also hör mal, das ist doch Blanche!« bekam er dann wohlgelaunt zur Antwort.
Sie hatten keine Ahnung, wer ich war, und es interessierte sie auch herzlich wenig. Möglich, daß sie vor sechzehn Jahren eine Geburtsanzeige erhalten hatten, die bald danach im Mülleimer gelandet war.
Indem meine Eltern für Christa warben, warben sie für sich selbst. Sie brüsteten sich damit, daß dieses junge, schöne, verführerische, unwiderstehliche Geschöpf unter ihrem Dach lebte. Wenn sie so gern bei uns ist, dann sind wir nicht irgendwer, schienen sie zu sagen. Endlich hatten sie etwas vorzuzeigen, deshalb hielten sie Hof.
Ich war nicht verbittert darüber. Ich wußte, daß ich nicht die Art von Kind war, die man stolz vorführt. Das Ganze hätte mich gar nicht so gestört, wenn Antichrista nicht, kaum daß wir wieder alleine waren, ihren Triumph so unverfroren ausgekostet hätte. Wie konnte ein sonst so gewandtes Mädchen derart primitiv sein!
»Hast du gesehen? Die Freunde deiner Eltern sind ganz verrückt nach mir«, sagte sie etwa, oder: »Alle halten mich für ihre Tochter. Dich nehmen sie gar nicht wahr.«
Ich zog es vor, auf diese Provokationen nicht einzugehen. Das änderte sich erst, als sie anfing, über meine Eltern herzuziehen.
»Warum reden deine Eltern eigentlich immer so viel? Ich komm ja kaum zu Wort«, beklagte sie sich. »Die benutzen mich doch bloß, um sich vor ihren Freunden interessanter zu machen.«
Ich erstarrte. Dann sagte ich: »Du hast recht, das geht einfach nicht. Du solltest dich darüber bei ihnen beschweren.«
»Sei nicht so doof, Blanche! Du weißt genau, daß das unhöflich wäre. Wenn deine Eltern etwas Taktgefühl besäßen, müßten sie doch von selbst darauf kommen, meinst du nicht?«
Das verschlug mir die Sprache.
Daß sie es wagte, mir gegenüber solche Ungeheuerlichkeiten vom Stapel zu lassen! Hatte sie keine Angst, daß ich sie verpetzte? Wahrscheinlich nicht. Sie konnte sicher sein, daß meine Eltern mir nicht glauben würden.
So verachtete Christa also ihre Wohltäter! Ich hätte es mir denken können, aber ich hatte es vorher einfach nicht gesehen. Diese Erkenntnis öffnete meinem Haß alle Schleusen.
Bisher hatte ich mir meine Abneigung gegen Christa nie voll und ganz eingestanden, weil ich mich ein wenig dafür schämte. Wenn alle Welt Christa liebte, mußte es mein Fehler sein, daß es mir nicht gelang, sie zu mögen. Also lag es wahrscheinlich an meiner Eifersucht und meinem Mangel an Erfahrung. Bei etwas mehr Übung im Umgang mit Menschen hätte mich Christas merkwürdiges Gebaren sicher weniger schockiert. Ich hatte mir einzureden versucht, ich müßte einfach toleranter werden.
Nun gab es für mich keinen Zweifel mehr, daß Antichrista ein Miststück war.
Ich liebte meine Eltern trotz all ihrer Fehler. Sie waren anständige Menschen. Das bewiesen sie mit ihrer Liebe zu Christa. Sie täuschten sich und offenbarten dabei tausend menschliche Schwächen, aber sie liebten sie aufrichtig. Und jeder, der liebt, wird gerettet.
Und wen liebte Christa? Mich konnte ich gleich aus der Liste derer, die in Frage kamen, streichen. Ich hatte geglaubt, sie liebte meine Eltern, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Und was war mit dem geheimnisvollen Detlev? Wenn sie ihn so leicht entbehren konnte, war es mit ihrer Liebe für ihn wohl auch nicht so weit her. Dann gab es da
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