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Boeses Mädchen

Boeses Mädchen

Titel: Boeses Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amélie Nothomb
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zu meinem Vater, der keinerlei Anstalten machte, und sagte: »Wenn du nicht anrufst, mach ich es.«
    Als Herr Bildung am Telefon war, stellte mein Vater das Telefon auf Lautsprecher, so daß wir mithören konnten.
    Eine eisige Stimme sagte: »Ach, Herr Hast, der Vater von Blanche, verstehe.«
    Was er verstand, war uns nicht klar. Immerhin schien er von unserer Existenz zu wissen, was mich angesichts von Christas Verschleierungstaktik doch ein wenig wunderte.
    »Verzeihen Sie, wenn ich Sie in Ihrer Arbeit störe …« Mein armer Vater war ganz verschüchtert.
    Nach ein paar weiteren Floskeln setzte der Fabrikant zu einer Erklärung an: »Hören Sie, werter Herr, ich bin froh, daß Christa bei Ihnen in einer Familie lebt. Heutzutage ist es für Eltern beruhigend zu wissen, daß ihre Tochter nicht ganz auf sich allein gestellt ist. Ich muß Ihnen aber sagen, daß ich die exorbitante Miete, die Sie für ein Klappbett in einem Dienstbotenzimmer verlangen, nicht gerechtfertigt finde. Kein Mensch würde so viel dafür bezahlen. Ich mache das nur, weil meiner Tochter so sehr daran liegt. Sie liebt Blanche über alles, verstehen Sie? Ich weiß, Sie sind Lehrer, ich bin Unternehmer. Trotzdem sollten Sie es nicht zu sehr auf die Spitze treiben. Und bei der Gelegenheit teile ich Ihnen mit, daß ich die neuerliche Erhöhung nach Weihnachten nicht akzeptieren werde. Guten Tag, Monsieur.« Dann legte er auf.
    Mein Vater war kalkweiß im Gesicht. Meine Mutter begann zu lachen. Ich schwankte noch.
    »Ist euch eigentlich klar, wieviel Geld sie auf unsere Kosten verdient hat?« fragte ich.
    »Wir wissen nicht, wofür sie es gebraucht hat«, sagte mein Vater.
    »Du nimmst sie immer noch in Schutz?« rief ich empört.
    »Nachdem ihr Vater dich ihretwegen so gedemütigt hat?« sekundierte meine Mutter.
    »Uns fehlen noch ein paar Teile zu dem Puzzle«, beharrte mein Vater. »Sie könnte das Geld zum Beispiel für wohltätige Zwecke ausgegeben haben.«
    »Und daß du als Wucherer dastehst, ist dir völlig egal?«
    »Ich will nur nicht leichtfertig den Stab über sie brechen. Wir wissen jetzt, daß sie die Wahl hatte. Sie hätte überall leben können, wo es ihr gefiel. Aber sie wollte bei uns sein, obwohl wir ihr nichts Großartiges bieten konnten. Das heißt, sie hat uns gebraucht. Vielleicht war es ein Hilferuf?«
    Das glaubte ich weniger, aber die Frage meines Vaters war berechtigt. Warum hatte sie sich unsere kleine Familie ausgesucht? Das leichtverdiente Geld konnte nicht ihr einziges Motiv sein.
    Die Haltung meiner Eltern nötigte mir Achtung ab. Sie waren brutal aufs Kreuz gelegt worden, doch bei aller Enttäuschung reagierten sie nicht verbittert. Nie sprachen sie über das Geld. Meine Mutter fühlte sich hintergangen, weil Detlev so häßlich war; das mochte merkwürdig sein, aber es war nicht kleinlich. Und mein Vater trieb seine Seelengröße so weit, daß er Christas Motive verstehen wollte.
    Das einzige, was mich daran störte, war die Gewißheit, daß er mir gegenüber nicht so nachsichtig gewesen wäre. Meine Eltern verhielten sich immer so, als hätten wir, sie und ich, alle Pflichten, die anderen aber alle Rechte, also auch das Recht, gehört zu werden. Hinter Christas Verfehlung mußte ein Geheimnis stehen, es gab sicher eine Erklärung und mildernde Umstände für sie. Wenn ich etwas angestellt hätte, wäre ich angebrüllt worden. Das ärgerte mich ein bißchen.
     
    Jetzt mußten wir nur noch auf die Rückkehr der verlorenen Tochter warten.
    Von Christa wurde nicht mehr gesprochen. Ihr Name war tabu. Es gab ein stillschweigendes Abkommen zwischen uns, das Thema nicht mehr anzuschneiden, bevor sie wieder da war und sich verteidigen konnte.
    Ob sie eine Ahnung davon hatte, was inzwischen passiert war? Wenn Detlev und die Haushälterin einen Sinn für Überraschungen hatten, hielten sie vielleicht dicht. Und was das unglückselige Telefonat mit ihrem Vater betraf, konnte ich mir durchaus vorstellen, daß Herr Bildung seine Tochter schonen wollte und ihr deshalb die Einzelheiten ersparte.
    Mein Vater hatte recht: Es gab noch einige ungeklärte Punkte. Am wichtigsten schien ihm herauszufinden, was für eine Rolle wir in der Geschichte spielten.
    Mich beschäftigte das Rätsel Detlev: Warum hatte eine so ehrgeizige und eitle Person wie Christa sich ausgerechnet diesen Kerl ausgesucht? Sie, die sich der Angebote kaum erwehren konnte, gab sich mit einem netten dicklichen Jungen zufrieden. Das machte sie sympathisch. Aber bei

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