Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
Schlüssel in einem geheimen Schließfach ruhten, das von dem Notar der Familie bewacht wurde. Die Angst vor Grabplünderern hatte seinen Großvater dazu bewogen, solche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Ruhten doch nicht nur dessen Gebeine dort unten in der Gruft, sondern auch die seiner Vorväter, die er samt den kostbaren Särgen und dem Schmuck, den sie trugen, bei Eröffnung der Totenstadt Highgate hierher hatte umbetten lassen. Dass sein Enkel diesem Ort einen ganz anderen, einen großen, absoluten Sinn verleihen würde, hätte er sicher in seinen kühnsten Träumen nicht zu denken gewagt.
Das Klicken eines Pistolenhahns ließ ihn am Fuß der Treppe innehalten. Lächelnd wandte er sich zur Seite, wo er den Umriss einer Frau erblickte. »Guten Abend, Miss Copper, gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«
Die Frau in dem kupferfarbenen Kostüm ließ die Waffe sinken. Eigentlich gab es keinen Grund, Eindringlinge zu fürchten, dennoch war Miss Copper seine wachsamste Gehilfin. »Nein, Sir, es ist alles ruhig.«
»Haben Sie schon etwas von Miss Silver und Miss Gold gehört?«
»Sie sind nach wie vor in Indien, nehme ich an. Doch wie ich erfahren habe, soll die Königin noch in dieser oder in der nächsten Woche zurückkehren.«
»Dann wird es Zeit, unseren Plan zu verwirklichen.«
Die Frau nahm Haltung an, dann folgte sie ihm zu der Tür zwischen den Grablegen. Ins Labor, wo ein neues England darauf wartete, seine mechanischen Schwingen auszubreiten.
1. Kapitel
Adair House
Herbst 1888
»Alfred!«
Emmeline Adairs verzweifelter Ruf galt dem Butler, einem schlanken, dunkelhaarigen Mann Mitte dreißig, der in Windeseile im Salon erschien und sich leicht vor seiner Herrin verneigte.
»Sie wünschen, Mylady?«
Im Gegensatz zu seiner Herrin zeigte der Butler angesichts des offensichtlichen Chaos tiefe Gelassenheit. Durch nichts aus der Ruhe bringen lassen und stets die Wünsche der Herrschaft im Auge haben, war seine Devise, die er auch immer wieder gern der Dienstbotenschaft predigte. Die Dienstmädchen, die dafür sorgten, dass ihre Herrin mittlerweile einem Nervenzusammenbruch nahe war, konnten heute Abend mit einer anständigen Standpauke rechnen.
»Haben Sie eine Ahnung, wo ich die Gästeliste gelassen habe?« Lady Adair hob theatralisch ihre Hand an die Stirn. »Ich kann sie nirgends finden.« Dann wandte sie sich ab und sagte schrill: »Beth, nehmen Sie die Kiste da weg, soll’ ich mir das Genick brechen? Und, Mary, Vorsicht mit der Spitze, meine Tochter soll nicht wie eine Landstreicherin aussehen!«
Die Dienstmädchen zogen schuldbewusst die Köpfe ein. Während Beth zusah, dass sie mit dem Karton das Weite suchte, legte Mary den Spitzenballen so vorsichtig beiseite, als könnte er jeden Augenblick wie ein durchgerosteter Dampfkessel in die Luft gehen.
Seufzend wandte Lady Emmeline sich wieder zu Alfred um.
»Ich werde mich persönlich auf die Suche nach Ihrer Liste machen, Madam«, sagte der Butler und machte nach einer kleinen Verbeugung kehrt.
Was für ein Aufruhr wegen eines Balls, dachte Violet genervt. Seit drei Stunden stand sie nun schon auf dem hölzernen Podest, umwuselt von Dienstmädchen, Schneidergehilfinnen und Schneiderinnen, die alle bestrebt waren, das neue Kleid der hochwohlgeborenen Miss Adair zu einem nie da gewesenen Ereignis zu machen. Passend zu ihrem blonden Haar sollte sie in himmelblauen Atlas gehüllt werden, umspielt von zarten Spitzen und Perlen aus den Tiefen des Indischen Ozeans.
Violets Mutter, Lady Emmeline, war beinahe fanatisch anspruchsvoll, wenn es um Kleidung und Benehmen ging. In jenen Kreisen, zu denen die Familie Adair gehörte, bewegte man sich auf dünnem Eis. Nur ein Fehltritt genügte, um das Ansehen zu ruinieren. Besonders jetzt, wo das gesellschaftliche Debüt der jungen Miss Adair bevorstand, durfte nichts Unvorhergesehenes passieren. Keine Perle durfte falsch sitzen, kein Fädchen aus der Naht herausschauen, und Gott behüte uns vor einer schlecht verarbeiteten Spitze! AU das konnte das »Ereignis« und somit auch die Heiratschancen schmälern, und es wäre ja noch schöner, wenn eine junge Lady aus so vornehmem Hause keinen Bräutigam finden würde!
Violet unterdrückte ein Seufzen, während sie im Geiste all die Orte durchging, an denen sie jetzt lieber wäre. Der Botanische Garten, das Ufer der Themse, Soho, das Dampfviertel, hinter der Turmuhr von Big Ben … Nicht einmal Highgate Cemetery hätte öder sein können als das, was sie hier
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