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Bomann, Corinna - Clockwork Spiders

Bomann, Corinna - Clockwork Spiders

Titel: Bomann, Corinna - Clockwork Spiders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Bomann
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vor. Sie wissen schon …«
    Der Butler nickte kurz, setzte dann seine Arbeit fort. Violet griff an ihm vorbei in die Obstschale und zog sich mit einer Handvoll Trauben nach oben zurück. Da ihre Mutter es hasste, wenn sich die Dienstmädchen über Traubenstiele in Violets Zimmer beschwerten, aß sie das Obst noch auf der Treppe und ließ die Stiele im Topf einer kleinen indischen Palme verschwinden.
    In ihrem Zimmer trat sie seufzend an den Sekretär und fuhr die Zeichenplatte wieder aus. Nein, heute war kein guter Tag für theoretische Überlegungen. Heute brauchte sie einen Schraubenschlüssel und einen Lötkolben in den Händen. Violet trat ans Fenster, zog den Vorhang zurück und blickte hinaus in die Dunkelheit, wo die dampfbetriebenen Laternen einen verwaschenen gelben Schein auf die feucht glänzenden Gehwege warfen. Das Wetter war gut, die Rauchschicht über London nicht besonders dick, sodass sie sogar das Funkeln eines größeren Sterns sehen konnte.
    »Eine gute Nacht für einen Spaziergang«, murmelte sie, dann klopfte es.
    »Ihr Schlaftrunk, Mylady«, sagte Mary und stellte das Tablett auf den Nachttisch neben dem Bett.
    »Danke, Mary«, entgegnete Violet lächelnd.
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Mylady?«
    »Nein, das ist alles. Gute Nacht, Mary.«
    Das Dienstmädchen knickste und verschwand. Als Mary die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte Violet sich wieder zum Fenster um und murmelte: »Wirklich, eine sehr gute Nacht für einen Spaziergang.«
    Trotz der einlullenden Wärme der Bettdecken blieb Violet hellwach und lauschte in die sich langsam in Adair House ausbreitende Stille. Da ihr Vater recht früh aufzustehen pflegte, war es in den Schlafgemächern ihrer Eltern bereits ruhig. Unten jedoch erledigten die Dienstboten die letzten Arbeiten des Tages. Töpfe und Pfannen wurden geschrubbt, Wäsche wurde aufgehängt, der Boden gefegt. Kurz nachdem die Küchenmaschine verstummt war, kamen die Füße der Dienstmädchen die Treppe heraufgetrippelt. Auf Wunsch ihres Vaters achtete Alfred darauf, dass sie sich stets leise verhielten, besonders zur Nachtzeit, um die Herrschaften nicht zu wecken. Auch als sie in ihren Kammern angekommen waren, die über Violets Zimmer lagen, traten sie nur vorsichtig auf und bewegten sich so wenig wie möglich. Irgendwann knarrten die Betten, in denen sie meist zu zweit schliefen, dann gewann die Stille vollends die Oberhand.
    Endlich war die Zeit gekommen, in der Violet Adair wirklich zu leben begann.
    Rasch schlüpfte sie aus dem Bett und huschte zu ihrem Schreibtisch. Da das Haus so still war, dass man die Dampfmaschinen im fernen Dampfviertel hören konnte, verzichtete sie darauf, die Tischplatte wieder einzufahren. Das Rascheln so gering wie möglich haltend, nahm sie nur die Konstruktionszeichnung herunter, trug den Papierbogen mit spitzen Fingern zum Bett und rollte ihn zusammen.
    Nachdem sie ihn in ein ledernes Kartenetui gesteckt hatte, löste sie vorsichtig eine Bodendiele und zog aus dem Versteck ihre Arbeitskleidung hervor: Tweedrock, Ledermieder, Arbeitsbluse, Armstulpen, Stahlkappenstiefel. Die Sachen verströmten einen angenehmen Duft nach Rauch, Maschinenöl und Kerosin, der sie beim Ankleiden lächeln ließ. Wie gern hätte sie ihren goldenen Käfig gegen ein Leben im Labor eingetauscht, wie beispielsweise die junge Marie Curie in Frankreich, die mit ihren dampfbetriebenen Durchleuchtungsapparaten von sich reden machte!
    Nachdem sie ihre Frisur locker mit der Schutzbrille festgesteckt und noch einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen hatte, schulterte sie ihre Kartenhülle und griff nach der alten braunen Arzttasche, in der sie ihr mobiles Werkzeug aufbewahrte.
    Ein kaum wahrnehmbares Kratzen an der Zimmertür zeigte ihr an, dass die Zeit gekommen war. Als sie aus der Tür trat, verneigte sich Alfred leicht. Er hatte seine Butlerkleidung gegen einen unauffälligen braunen Anzug und eine Schiebermütze ausgetauscht.
    Schweigend und darauf bedacht, möglichst wenige Geräusche zu machen, schlichen sie den Gang entlang und die Treppe hinunter. Das Licht der Straßenlaternen fiel durch die hohen Fenster der Eingangshalle. Da hier allerdings einer der neuartigen, in die Schwelle eingelassenen Bewegungsmelder, der jede Nacht scharf gestellt wurde, den Hundezwinger öffnen würde, nahmen sie wie immer den Hinterausgang.
    »Ich nehme an, Sie sind schon sehr aufgeregt wegen des Balls«, sagte Alfred spöttisch, während sie durch den Park

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