Bombenspiel
Chance hatte, die Katastrophe aufzuhalten.
Als der weiße Daumen auf die Taste drücken wollte, fuhr Mthetwas Schwert durch die Luft und durchtrennte Kalkoens Handgelenk.
Scheppernd landete das Handy auf dem Boden.
Das Spiel endete mit einem Sieg Deutschlands.
Freitag, 18. Juni 2010, Flughafen Durban
Linda hatte sich am Flughafen von Alan Scott verabschiedet, der noch ein paar Tage auf Olifants Goud bleiben und danach in einer Erbschaftsangelegenheit nach Namibia reisen wollte. Ob und wann er nach Deutschland zurückkehren würde, wusste sie nicht.
»Wir haben doch alle Zeit der Welt«, hatte er auf ihre Frage geantwortet. Das Lied von Louis Armstrong aus dem James-Bond-Film ›Im Geheimdienst ihrer Majestät‹ war ihr in den Sinn gekommen. Ein Film ohne Happy End, daran erinnerte sie sich. Und das letzte Lied von Satchmo.
Alan hatte sie noch einmal geküsst, bevor sie zum Abflugterminal gegangen war. Als sie sich ein letztes Mal umdrehte, war er verschwunden.
Jetzt saß sie neben Karin Fleischer in der zwölften Reihe des Lufthansaflugs von Johannesburg nach Frankfurt. Karin starrte schweigend aus dem Fenster, als Linda fragte: »Hast du mir nicht noch etwas zu sagen?«
»Was meinst du?« Karins Blick war merkwürdig leer.
Linda zögerte und suchte nach den passenden Worten. »Mir ist im Laufe der letzten Tage einiges klar geworden«, begann sie vorsichtig. »Du wolltest Henning an Weihnachten in Südafrika besuchen und bist ziemlich deprimiert nach wenigen Tagen zurückgekehrt. Als er mit mir telefonierte, hat er deinen Besuch mit keinem Wort erwähnt. Das hat mich schon damals etwas gewundert.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich kann mich erinnern, dass du gut geschossen hast. Warst immer die beste Schützin beim Vereinspokalschießen.«
Karin starrte nach wie vor ins Leere, doch ihre Mundwinkel zuckten nervös. Als sie weiter schwieg, fuhr Linda fort: »Was mich aber am meisten irritierte, war, dass du wusstest, wie Henning erschossen wurde. Der Kopfschuss war eine Tatsache, die die Polizei geheim halten wollte. Ermittlungstaktik, sagte der Kommissar.« Erneut eine Pause, und dann betonte Linda jedes Wort: »Ich kann es nicht beweisen, Karin. Aber ich weiß, dass du es warst, die Henning erschossen hat.«
Karin starrte auf den Monitor vor ihrem Sitz, der die Flugroute anzeigte. Sie waren über der Kalahari.
»Er hat dir erzählt, dass er sich mit mir in Stuttgart treffen wollte?«, vermutete Linda weiter.
Karin nickte, fast unmerklich.
»Dass er Angst hatte?«
»Mhm.«
»Und was noch? Dass er dich verlassen würde?«
Tränen füllten Karins Augen und rollten langsam über ihre Wangen. Linda kannte die Antwort. »Es war wegen Kim Merheim?«
»Ja.« Karins Schluchzen verschluckte fast die Worte, die jetzt stoßweise kamen: »Am Telefon wollte er nicht mehr mit mir reden. Ich solle kapieren, dass es aus sei, sagte er. Es hätte alles keinen Sinn. Kim würde sich von ihrem Mann trennen. Da habe ich das Gewehr meines Vaters genommen. Er hat einen Waffenschein. Von ihm habe ich das Schießen gelernt. Dann habe ich am Stadion auf Henning gewartet und ihn erschossen …«
Linda suchte nach ihrem Kalender und kramte den Zettel mit ihrer Notiz hervor.
»Was ist das?«, fragte Karin mit tränenerstickter Stimme.
»Das waren die letzten Worte, die ich von ihm gehört habe.« Er hat den Tatort und die Tatzeit selbst bestimmt, dachte sie.
Die Stimme des Kapitäns drang aus dem Cockpit und unterbrach ihre Gedanken. »Meine sehr geehrten Damen und Herren«, hörte sie, »Deutschland hat soeben das zweite WM-Spiel in Südafrika gewonnen. Wir sind auf dem Weg zum Weltmeister!«
Die Mörderin neben ihr entzifferte die rasch gekritzelte Zeile: Mercedes-Benz-Arena um Mitternacht …
Epilog
In den südafrikanischen Zeitungen war nur in einer Randnotiz von der Festnahme eines offensichtlich Verrückten im Stadion Durban zu lesen, der einen der Stadionmanager mit einem Zuluschwert attackiert hatte. Radiostationen und Fernsehen brachten eine kurze Meldung.
Die wahren Zusammenhänge erfuhr die Öffentlichkeit nie.
Die abgetrennte Hand des stellvertretenden Construction Inspectors Gys de Kock konnte in mehreren aufwendigen Operationen, die von dem anerkannten Handspezialisten Dr. Fred Goldbäck durchgeführt wurden, angenäht und die Funktionsfähigkeit wieder zu einem großen Teil hergestellt werden.
Drei Tage nach ihrer Rückkehr aus Südafrika bekam Linda
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