Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
Gustav Lübbe Verlag
© 1991 by Ann Hulme
Originalverlag: Headline Book, London Titel der Originalausgabe: Say it with Poison
© 1997 für die deutsche Ausgabe by Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach Aus dem Englischen von Edith Walter Lektorat: Diethelm Kaiser
Umschlag- und Einbandgestaltung: Guido Klütsch, Köln, unter Verwendung eines Bildmotivs von David Hopkins Satz: Bosbach & Siebel Print Media Concept, Lindlar Gesetzt aus der Berkeley Oldstyle medium von Linotype-Hell Druck und Einband: Friedrich Pustet, Regensburg
Alle Rechte, auch die der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten
Printed in Germany
ISBN 3-7857-0853-X
Für John
KAPITEL 1
Der Lift ging schon wieder nicht. Meredith Mitchell starrte ihn wütend an
– sie war müde nach einem anstrengenden Tag, zerknittert von der Heimfahrt in einer überfüllten Straßenbahn und staubig von dem Gang durch die sonnigen Straßen. Daß der Lift nicht funktionierte, war weder neu noch überraschend. Er war ein Museumsstück mit reich verzierten Gitterstäben und sah aus wie ein Affenhaus im Privatzoo eines viktorianischen Sammlers. Die Gitterstäbe liefen an der Spitze in metallene Laubverzierungen aus, die stolz zur Schau gestellte Fördervorrichtung mit Tragseil, Steuerseil und Führungsschiene glich einem der technischen Geräte aus dem »Jahrbuch für Jungen«. An einem der metallenen Akanthusstiele war eine Metalltafel befestigt, auf der eine Inschrift auf deutsch verkündete, daß dieser Lift in der Blütezeit der österreichischungarischen Monarchie eingebaut worden war. Irgendein Witzbold hatte, vermutlich von einer Reise nach Wien, eine Ansichtskarte mit dem Porträt von Kaiser Franz Josef mitgebracht und in die Liftkabine geklebt. Dort blieb sie hängen und wurde von dem betagten ungarischen Hausmeister mit jener Ehrfurcht behandelt, die normalerweise Heiligenbildern vorbehalten bleibt. Meredith schnitt dem schnurrbärtigen alten Kaiser in dem blauen Militärmantel mit Messingknöpfen eine Grimasse. Heute hatten Seine Kaiserliche Hoheit den Lift ganz für sich allein.
Sie nahm ihre Aktenmappe auf und begann die sanft geschwungene steinerne Treppe zu erklimmen, wobei sie sich müde am Treppengeländer abstützte. Obwohl überall die Farbe abblätterte, unter der Dekke Spinnweben hingen und man den Eindruck hatte, daß das ganze Gemäuer allmählich zu Staub zerfiel, besaß der Wohnblock noch etwas von der Eleganz des Fin de siècle: Die Treppe, über die Meredith sich jetzt zur dritten Etage hochschleppte, war breit genug für Krinolinen. Aber die Heizung arbeitete nur selten richtig, die Installationen waren abenteuerlich, im Keller gab es Ratten, und manchmal nahm eine von ihnen die falsche Abzweigung und verirrte sich in eines der oberen Stockwerke. Meredith hatte einmal spät abends die Wohnung verlassen und auf der Türschwelle eine Ratte gefunden, die sich den Bart putzte. Dennoch liebte sie das Haus und beneidete die anderen Konsulatsangestellten nicht um ihre moderneren Wohnungen in den seelenlosen Betonbauten draußen in der Wildnis der neuen Vorstädte. Es rückte die Dinge in die richtige Perspektive; es blinzelte dem Besucher verschwörerisch und ein bißchen durchtrieben zu wie ein welker alter Beau, der noch nicht allen Schneid verloren hat. Die Zeit sorgt schließlich immer auf die eine oder andere Weise dafür, daß unsere Ambitionen nicht in den Himmel wachsen.
Endlich stand sie vor ihrer Tür – ein wenig außer Atem und ins Schwitzen geraten in dem stickigen Treppenhaus. Marija, die Putzfrau, war heute hiergewesen und hatte den Messingbriefkasten, auf dem noch in verblaßter gotischer Schrift das deutsche Wort »Briefe« stand, auf Hochglanz poliert. Natürlich machte sich heute kein Postbote mehr die Mühe, seine Tasche mit den Briefen hier heraufzuschleppen. Er warf die Post in die numerierten Metallkästen, die unten in der Vorhalle an der Wand hingen. Das heißt, die Post der anderen Leute. Merediths private Post, sofern sie welche erhielt, kam in einem Leinensack zusammen mit der Diplomatenpost, die regelmäßig vom Kurierdienst zugestellt wurde. Tatsächlich aber kam es nur selten vor, daß sie überhaupt private Briefe erhielt.
Die Leute daheim vergessen einen zwar nicht, wenn man mehrere Jahre im Ausland gearbeitet hat, aber die Verbindung aufrechtzuerhalten wird immer schwieriger. Das zumindest sagte sich Meredith. Die Lebenswege verlaufen in unterschiedlichen Richtungen, und wenn man immer weniger gemeinsam
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