BookLess.Wörter durchfluten die Zeit (BookLessSaga Teil 1)
Angesprochenen wandten Nathan ihre Köpfe zu. Einige Gesichter kannte er, auch wenn niemand von ihnen direkt im Rampenlicht stand. Die Anhänger und Verfechter des reinen Glaubens hatten immer zum Adel des Landes gehört. Die Vorfahren der meisten Versammelten stammten, wie seine, aus Okzitanien und waren rechtzeitig vor der Verfolgung durch die Katholiken geflohen. Sie hatten Zuflucht bei ihren Familien im englischen Königreich gesucht und oft war es ihnen gelungen, diese zum wahren Glauben zu bekehren. Seitdem war es der englische Adel, der die Bücher schützte.
Nachdem die Vorstellung beendet war, erzählte Batiste den Männern von Lucy Guardian. Nathan beobachtete das Geschehen genau. Alle, die hier saßen, hatten angenommen, dass es keine Hüterinnen mehr gab. Nun erzählte Batiste in kurzen, abgehackten Sätzen davon, wie Nathan Lucy entdeckt und was er über ihre Herkunft herausgefunden hatte.
»Nathan würdest du bitte den Brief dieser Schlange vorlesen«, sagte er dann und reicht ihm ein zerknittertes Blatt Papier.
Stockend begann Nathan zu lesen.
Geliebte Lucy,
wir haben nicht viel Zeit. Batiste de Tremaine hat uns gefunden. Wir haben so sehr gehofft, dass es uns vergönnt sein würde, länger mit Dir zusammen zu sein. Aber das Schicksal hat es nicht gut mit uns gemeint. Wir haben schon vor Deiner Geburt alles Nötige mit Vikar Ralph besprochen. Du kannst ihm vertrauen und wir hoffen, dass er Dich eines Tages in das Geheimnis Deiner Herkunft einweihen wird.
Du bist etwas ganz Besonderes und das ist Fluch und Segen zugleich. Wie alle Frauen unserer Familie ist es Deine Bestimmung, den Männern des Bundes die Stirn zu bieten. Sie stehlen den Menschen das Wissen. Das darfst Du nicht hinnehmen …
Ein empörtes Raunen der Perfecti war die Antwort auf diese Anschuldigung. Nathan verstummte. Doch Batiste bedeutete ihm weiterzulesen.
Vikar Ralph wird Dich verstecken. Selbst wir wissen nicht, wohin er Dich bringen wird. Wir denken, dass es so das Beste ist. Sie werden nie vermuten, dass wir einen Mann der Kirche um Hilfe bitten. Wenn wir es schaffen, den Perfecti zu entkommen, werden wir Dich zurückholen. Keine Sekunde länger als unbedingt nötig werden wir Dich allein lassen. Doch wenn wir es nicht schaffen, dann soll dieser Brief unser letzter Gruß an Dich sein. Wir lieben Dich so sehr ...
Nathan stockte, denn die Tinte war an dieser Stelle verwischt. Wer immer diesen Brief geschrieben hatte, und Nathan tippte darauf, dass es Lucys Mutter gewesen war, hatte dabei geweint. Nathan räusperte sich und las weiter.
Und Du wirst jede Sekunde, die wir nicht bei Dir sein können, in unseren Herzen sein. Sollte es uns nicht vergönnt sein, zurückzukommen und Dich zu unterweisen, dann vertraue auf die Bücher und das Medaillon. Die Bücher werden Dich finden und Dich leiten. Vertraue ihnen, so wie sie Dir vertrauen. Sie brauchen Dich. Nur Du kannst sie vor der Habgier des Bundes schützen. Die Männer sind vom Wege abgekommen. Was sie tun, ist falsch.
Denke immer daran: Das Wort, das Wissen und die Weisheit der Bücher dürfen nicht länger verborgen werden. An Worten sollen die Seelen der Menschen emporwachsen, Worte sollen die Waffen der Zukunft sein.
Wir küssen und umarmen Dich und hoffen, dass die Zukunft, die vor Dir liegt, friedlicher sein wird als unsere Gegenwart.
Möge Gott Dich schützen und leiten.
Deine Dich liebenden Eltern
Nathan spürte, dass er den Brief viel zu fest hielt. Die Worte, die Lucys Eltern vor so langer Zeit geschrieben hatten, berührten ihn mehr, als er zulassen durfte. Er sah auf und blickte in fassungslose und empörte Gesichter.
Er ließ das Blatt Papier auf den Tisch sinken.
»Es war an der Zeit, euch davon in Kenntnis zu setzen. Nathan ist es gelungen, das Vertrauen des Mädchens zu erringen«, riss Batiste die Führung des Gespräches wieder an sich.
Einige der Anwesenden schmunzelten bei dieser Wortwahl, doch ein Blick von Batiste rief sie zur Ordnung.
»Wir haben damals alle gemeinsam beschlossen, dass diese letzte Hüterin mitsamt ihrer Brut vernichtet werden muss. So viele Jahre haben wir ihrer nicht habhaft werden können, und als wir sie endlich fanden, weigerte diese Hexe sich, uns zu folgen. Sie wusste genau, was mit ihr geschehen würde, wenn sie sich weigert, und sie hat es in Kauf genommen. Ich habe keine Ahnung, wie es ihr trotzdem gelungen ist, das Kind fortzuschaffen.«
Wieder setzte aufgeregtes Gemurmel ein.
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