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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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ihre Arme nach mir ausstreckte.
Wenn ich mich weit vorgebeugt und ihre ausgestreckten Finger berührt hätte, ihre
Hände umklammert hätte, hätte ich sie vielleicht zurückholen können, aber zwischen
uns war der trübe See, und ich wusste, dass ich ihn niemals würde überqueren
können. Dann trat die Gestalt zurück in die Dunkelheit, und als sie verschwand,
traf mich ihr stummer Schrei der Angst und Verzweiflung und legte sich um mein
Herz. Jetzt war ich wirklich wach, und Tränen standen mir in den Augen.
    Ein Traum ist ein Traum, und in den
wenigen Träumen, die ich in meinem Leben gehabt habe, ging es meistens um die Entwicklung
einer neuen Software. Einmal hatte ich im Traum eine neue Primzahl entdeckt,
aber so einen Traum wie dieses Mal hatte ich noch nie gehabt. Tagelang
verfolgte er mich, wie eine Wunde tief in meinem Gehirn, die nicht heilen
wollte.
    Die Existenz, die ich bisher geführt
hatte, vierzehn von vierundzwanzig Stunden täglich an einem Computer zu
sitzen, hatte früher anscheinend genug Struktur und Klarheit geboten, um als
Antwort auf jedwede Frage nach dem Sinn dieser Existenz herhalten zu können.
Jetzt musste ich erkennen, dass Leben und Softwareentwicklung mit zwei
verschiedenen Maßstäben zu messen waren. Ich stellte mir vor, dass mein Leben
selbst wie eine unauflösliche Gleichung war, und in der Mitte der Gleichung
stand ein »x«, das ich verstehen musste, aber nicht quantifizieren konnte.
    Ed Simmonds rief nicht wieder an.
Früher wäre ich dankbar gewesen, wenn ich mir nicht den Kopf darüber hätte
zerbrechen müssen, wie weitere Einladungen zu umgehen waren. Jetzt bedauerte
ich, dass er mich zu der Annahme verführt hatte, er würde sich wieder bei mir
melden. Ich hatte ihm meine Telefonnummer auf einen Zettel geschrieben, weil er
mich darum gebeten hatte, und ich hatte ihn neben das Telefon in seinem
Wohnzimmer gelegt. Es hätte ihn keine Minute gekostet, den Telefonhörer in die
Hand zu nehmen und mich anzurufen, und an Zeit schien es ihm nicht zu mangeln.
Er rief nicht an, und ich konnte mir sehr gut vorstellen, was er von dem Ganzen
hielt, als würde er sich im Nebenzimmer mit Eck über mich unterhalten:
»Komischer Kauz, dieser Wilberforce. Ziemlich geschickt mit Computern und so,
geht völlig darin auf. Aber besonders witzig ist er nicht gerade, oder?« Und
Eck würde antworten: »Stimmt. Aber behalt seine Nummer lieber noch, für den
Fall, dass dein Computer doch mal wieder kaputt gehen sollte.«
    Ed Simmonds rief nicht an. Francis
Black besuchte ich ab und zu noch. Er hatte nichts dagegen, wenn ich vorbeikam,
und er erwartete auch nicht, dass ich irgendetwas kaufte. Wir saßen zusammen
und unterhielten uns, und ich war erstaunt, wie leicht mir ein Gespräch mit ihm
fiel; oder ich hörte nur zu, denn Francis hatte einen Hang, urplötzlich
irgendwelche alten Familiengeschichten hervorzukramen oder sich an ein Ereignis
aus seiner eigenen Vergangenheit zu erinnern, das mir zu Gehör gebracht zu
werden ihm geeignet schien. Allmählich fügte sich in meiner Vorstellung ein
fragmentarisches Bild von Francis' Vergangenheit zusammen. Er musste eine
stürmische Jugend gehabt haben, beinahe bis zur Selbstzerstörung. Der Tod seiner
Eltern und die Erbschaft des Familienbesitzes, oder was davon übrig geblieben
war, hatten ihn wieder gefestigt. Jetzt war Wein sein Lebensinhalt geworden,
beinahe zu einer Obsession.
    Ich besuchte Francis nicht sehr oft.
Ich hatte Angst, ich könnte aufdringlich erscheinen. Gelegentlich kaufte ich
ihm eine Flasche ab, weil das, wie ich annahm, von mir erwartet wurde, um ihm
eine Freude zu machen und ihm Gelegenheit zu geben, mir etwas über den Winzer,
den Jahrgang und die Abfüllung zu erzählen. In Francis' Laden hatte ich Eck und
Ed kennengelernt, und immer wenn ich nach Caerlyon fuhr, rechnete ich damit, ja
hoffte ich, dass noch ein anderes Auto im Hof parkte. Es war nie jemand anders
da.
    Wenn ich bei einem Besuch wieder mal
Wein gekauft hatte, stellte ich die Flasche zu Hause erst mal weg. Nach
einiger Zeit hatten sich ganz schön viele Flaschen in meinem Regal angesammelt.
Ganz selten machte ich mal eine auf und trank ein Glas. Ich muss zugeben, dass
ich verstehen konnte, warum andere Leute gelegentlich Wein tranken. Der
Geschmack war seltsam, aber interessant, auf jeden Fall interessanter als Diet
Coke. Wenn ich, selten genug, mal ein zweites Glas trank, kam es schon mal vor,
dass ich für Momente eine gewisse Unlust verspürte, aufzuräumen

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