Bordeuax
überlegt, dass ich
auch mal ein Privatleben haben will«, sagte ich. »Ich weiß nur nicht, wie ich
an die Sache herangehen soll. Oder was ich damit anfangen soll, wenn ich eins
habe.«
»Privatleben«, erklärte Andy, »das
ist nicht wie eine Pizza zum Mitnehmen. Ein Privatleben kann man sich nicht
kaufen. Gut, manche können das vielleicht, aber ich glaube, du gehörst nicht zu
denen. Ein Privatleben muss man sich erarbeiten. Man muss Leute kennenlernen,
man muss sie mögen, und sie müssen dich mögen. So funktioniert das.«
»Neulich habe ich Leute
kennengelernt«, sagte ich so beiläufig wie möglich.
»Leute? Was für Leute?«, fragte er.
Fast schien er verärgert darüber, dass ich mal Initiative ergriffen hatte.
»Ach, Leute eben, von weiter oben.«
Ich musste ihm erklären, dass sich diese Bemerkung nicht auf ihren
gesellschaftlichen Status, sondern auf die geografische Lage bezog.
»Siehst du«, sagte er. »Es zeigt
nur, dass so etwas eben vorkommt. Wirst du sie wiedersehen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich.
»Hängt ganz davon ab.«
Auf einmal war ihm die Lust
vergangen, mich weiter zu hänseln, und den restlichen Abend unterhielten wir
uns wie üblich über die Firma. Andy wollte, dass ich sie an die Börse bringe.
»Ist das nicht das Gleiche, als würde man sie verkaufen? Ich glaube, das könnte
ich niemals tun. Was soll ich mit dem ganzen Geld anfangen? Was sollte das für
einen Sinn haben?«
Hängt davon ab, hatte ich Andy auf
die Frage, ob ich meine neuen Bekannten wiedersehen würde, geantwortet. Wovon,
fragte ich mich später, als ich nach Hause fuhr. Wovon hing es ab, ob Ed
Simmonds, den ich kaum kannte, ob Eck, ob Francis, ob überhaupt je ein Mensch,
den ich kennengelernt hätte, mich wiedersehen wollte oder nicht. Mir fiel kein
einziger Grund ein. Welchen Gewinn sollte das bringen, mich noch mal
wiederzusehen, wenn nicht gerade wieder ein Computer ausgefallen war?
Erneut stellte sich das Bild eines
geheimen Gartens ein. Alle anderen Menschen auf der Welt waren in das
Geheimnis eingeweiht und hatten einen Schlüssel zu der eisernen Gartenpforte.
Nur ich nicht, ein Kind unbekannter Herkunft, ohne besondere Talente, außer der
Fähigkeit, hohe Zahlen im Kopf addieren zu können; ich schlich draußen herum
und durfte nicht in den Garten.
In der Nacht schlief ich schlecht.
Es musste erst jemand kommen und mir sagen, was in meinem Leben zu kurz kam,
bevor ich es selbst merkte. Das hatte Andy soeben getan. Ich lag wach und
starrte in der Dunkelheit an die Decke, dachte an Primzahlen und addierte riesige
Summen. Um vier Uhr schlief ich endlich ein, es war wie Ertrinken. Um halb acht
wachte ich ruckartig auf, fühlte mich erschlagen und eilte ins Büro, ohne mich
vorher zu rasieren.
Andy war schon da. »Guten Morgen,
Wilberforce«, sagte er. »Du siehst grauenhaft aus. Ich habe dir doch gleich
gesagt, dass das Huhn Madras zu scharf für dich ist.«
3
Einige Wochen später rief Ed
Simmonds zu meiner Überraschung doch noch an. Als meine Sekretärin fragte, ob
sie den Anruf durchstellen solle, musste ich kurz überlegen, woher ich den
Namen kannte.
Ed war am Apparat. »Sind Sie das,
Wilberforce? Wie geht es Ihnen?«
»Ed. Schön, dass Sie anrufen«, sagte
ich. Es war ehrlich gemeint. Seine Stimme, die ich seit Wochen nicht gehört
hatte, klang so vertraut, als hätte ich sie täglich im Ohr gehabt. In gewisser
Weise hatte ich sie tatsächlich im Ohr gehabt, aber nur in meiner Fantasie.
Jetzt rief er an, und alle meine Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines
Versprechens, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, verflogen, wie ein Schwarm
Krähen, der aufstiebt, wenn man in die Hände klatscht.
»Ich hätte mich längst gemeldet«,
sagte Ed, »aber ich war mit einigen Freunden in Island angeln.«
»Wie war es?«
»Arschkalt. Zum Glück hatten wir ein
paar Kisten von Francis' Bordeaux zum Einheizen dabei.«
Ich verstand nichts vom Angeln, aber
dachte, ich müsste irgendwie darauf eingehen, deswegen fragte ich: »Und? Haben
Sie einen Fisch gefangen?«
»Einige sogar. Aber ehrlich gesagt,
nach dem zehnten Fisch artete es in Arbeit aus.«
Warum war er dann überhaupt
mitgefahren, fragte ich mich. Ich war damals noch nicht vertraut mit der
Sprache des Understatement, der Ironie und der Herabsetzung der eigenen
Person, die den Wortschatz von Ed Simmonds und seinem Freundeskreis bildete.
Als hätte er meine Gedanken erraten,
sagte er: »Ein alter Freund von mir hat mich letztes Jahr
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