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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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und
gemeinsam öffneten wir die Tür. Als ich jetzt von draußen hereinkam, roch ich
den Gestank im Haus. Es war ein Schock. Abgestandene Luft, der Bodensatz von
Wein, und von irgendwo her Schimmel. In den vergangenen Wochen war ich ohne
Putzfrau ausgekommen. Zum einen wollte ich Geld sparen, zum anderen hatte ich
irgendetwas getan, womit ich die Agentur, die die Putzkräfte vermittelte,
verärgert hatte; wahrscheinlich hatte ich vergessen zu zahlen.
    Wir gingen in die Küche, und ich
sah, dass Colin beim Anblick der Stapel schmutziger Teller und Gläser neben der
Spüle die Nase rümpfte. »Machst du denn nie sauber?«, fragte er. Er zog einen
der Stühle unter dem Küchentisch hervor, wedelte mit dem Taschentuch ein paar
Krümel von der Sitzfläche und setzte sich.
    »Ich hole mir ein Glas Wein«, sagte
ich. »Möchtest du auch eins?«
    »Ich trinke mit, wenn es was hilft«,
sagte Colin. »Dieses eine Mal könnte dir ein Glas vielleicht ganz guttun. Du
warst käsebleich, als du mich eben angerempelt hast. Für wen hast du mich eigentlich
gehalten?«
    »Ach, irgendjemand, den ich nicht
sehen wollte.«
    Ich ging zum Weinregal und holte
einen 53er Château Cheval Blanc heraus, öffnete ihn und schenkte jedem von uns
ein Glas ein. Der Wein schmeckte dünn, geistlos. Ich schnüffelte dran, konnte
aber nichts Befremdliches riechen und sagte zu Colin: »Entschuldige, aber ich
glaube, die Flasche ist korkig.«
    »Mir schmeckt er einwandfrei«,
bemerkte Colin.
    Einwandfrei! Meine Weine waren
niemals nur »einwandfrei«. Die Weine aus meinem Keller gehörten zu den seltensten
Weinen überhaupt, den edelsten Jahrgängen, die jemals unter einem Dach
versammelt worden waren. Der 53er Cheval Blanc war über fünfzig Jahre alt,
einer der wenigen Bordeauxweine dieses Alters, der noch nicht oxidiert hatte,
also noch genießbar war. Und es war ein Wein, von dem ich jetzt nur noch ein
oder zwei Flaschen besaß. Ich nahm Colins Glas und machte eine Flasche Fitou
auf. Es war der einzige andere Rotwein in der Küche, der ungefähr Zimmertemperatur
hatte - ein Einzelstück, das ich in der Gruft entdeckt hatte und das Francis
erst kürzlich als eine Art schrullige Ergänzung in seine Sammlung aufgenommen
haben musste. Ich schüttete den Inhalt beider Gläser und den Rest der ersten
Flasche in den Ausguss und schenkte dann den neuen Wein ein. Für mich schmeckte
er genauso wie der erste, aber ich sagte nichts.
    Colin nippte an seinem Glas und
sagte: »Ein ganz netter Rotwein. Etwas mehr Geschmack als der erste, obwohl
ich an dem eigentlich nichts auszusetzen hatte.«
    Ich verkniff mir einen Kommentar und
wartete darauf, dass Colin mir sagte, warum er hergekommen war; ich hatte es
vergessen.
    »Ich habe dem befreundeten
Neurologen deine Testergebnisse vorgelegt. Er hat sie sich angesehen, und ich
habe mit ihm über einige der Symptome gesprochen, die mir bei dir aufgefallen
sind«, sagte Colin.
    »Was für Symptome?«
    »Du hast eine akute okuläre Ataxie,
einen blickparetischen Nystagmus.«
    »Kannst du das auch für einen Laien
verständlich ausdrücken?«
    »Du kannst die Bewegungen deiner
Augen nicht kontrollieren, jedenfalls manchmal. Jetzt zum Beispiel.«
    »Doch, kann ich wohl«, sagte ich,
vermochte den Blick aber nicht von der Decke zu nehmen.
    »Und noch etwas. Phasenweise leidest
du unter geistiger Verwirrung. Ich glaube, vorhin, als du mir draußen in die
Arme gelaufen bist, habe ich dich gerade in so einer Phase unterbrochen. Hast
du manchmal lebhafte Erinnerungen an Orte, an denen du noch nie im Leben warst,
oder an Leute, die du eigentlich nicht kennst? Bildest du dir manchmal ein, du
wärst jemand anderes, Wilberforce?«
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete
ich, aber wir wussten beide, dass das nicht der Wahrheit entsprach. In letzter
Zeit schob sich beständig ein Bild in den Vordergrund meiner Erinnerung: eine
nächtliche, regennasse Straße, die ich nicht entlanggehen will, sie aber
trotzdem abschreite. Wo war das? Es war nicht in Newcastle, nicht einmal in
London. Es war in einer wärmeren Gegend, und die Luft war dünner.
    »Als ich gestern nach dir geschaut
habe, hast du viel über Kolumbien gesprochen. Kannst du dich daran noch
erinnern?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
»Vielleicht fällt mir noch etwas ein. Es muss ein Traum gewesen sein.«
    Colin trank einen Schluck Wein. Mein
Glas war leer. »Mach nur«, sagte er. »Schenk dir ruhig noch nach. Du kannst dir
nicht noch mehr schaden als ohnehin schon.«
    Ich

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