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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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keinen Sinn hatte, sie wegzuwerfen.
    Der Wein in Caerlyon war bestimmt
auch einiges wert, mindestens eine Million Pfund. Es war ein tröstlicher
Gedanke, dass er immer noch da war, dass er immer da sein würde. Wem sollte ich
den Keller vererben? Wenn es nach Colin ging, hätte ich ein neues Testament
aufsetzen müssen. Ich hatte eins gemacht, als Catherine und ich heirateten,
darin hatte ich ihr zu Lebzeiten alles vermacht, danach wäre der Besitz auf die
Kinder übergegangen, die wir nie bekommen hatten. Wahrscheinlich war es ganz
gut, sich das Testament noch mal vorzunehmen. Wem sollte ich den Wein
vererben?
    Ich hatte niemanden. Das war ein
entmutigender Gedanke. Es gab niemanden außer Francis, der so viel von Wein
verstand und der Wein so sehr schätzte wie ich. Francis war tot, und mir
versuchte Colin einzureden, ich würde sterben. Versuchte? Er leistete ganze
Arbeit.
    Was hatte ich noch mal für eine
Krankheit? Sonderlich attraktiv hörte es sich jedenfalls nicht an: in einen
endlosen Schlaf zu fallen, verfolgt von Träumen, Träumen eines Lebens, das ich
nie geführt hatte, die eigenen Erinnerungen in ferne Winkel meines Gedächtnisses
abgeschoben, von wo sie niemals ausbrechen konnten, lebenslänglich gefangen in
Albtraumverliesen.
    Ich schwitzte wahnsinnig, und mein
Schlafanzug und die Laken waren feucht. Ich stieg aus dem Bett und betrachtete
mich im Spiegel. Ich war groß; früher hatte ich mal schwarzes Haar, ein
blasses Gesicht und blaue Augen. Jetzt war mein Haar von grauen Strähnen
durchzogen und klebte am Schädel, fettig. Mein Gesicht war nicht mehr blass,
sondern käseweiß, hier und da mit einigen schrundigen roten Hautflecken
verziert und mit einem Schweißfilm bedeckt. In unseren ersten Liebesergüssen
hatte Catherine mir mal gesagt, sie fände mich körperlich anziehend. Ich selbst
fand nie, dass ich irgendwie besonders markant anders aussah. Keiner außer
meiner Pflegemutter hat sich je über meine körperliche Erscheinung geäußert,
bis Catherine es tat. Meine Pflegemutter hatte mir gesagt, dass ich ein
hübsches Baby gewesen sei. Aber sie sprach davon, als gehörten diese Reize
längst der Vergangenheit an.
    Mochte ich als Baby oder als der
Mann, den Catherine heiratete, noch so attraktiv gewesen sein - jetzt war ich
davon weit entfernt. Meine Haut hatte die Farbe von vergilbten Zeitungen, unter
meinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, und das Weiß war nicht mehr das
strahlende Weiß von früher, viel mehr graugelb, die Farbe verdorbener Milch.
Ich sah eher aus wie siebzig und nicht wie siebenunddreißig.
    Gar nicht mal schlecht, wenn man
bedenkt. Ich beschloss aufzustehen und zu duschen.
     
    Auf dem Kaminsims in meinem
Wohnzimmer stehen zwei Fotos. Das eine ist ein Farbbild, es zeigt Francis
Black, einen Arm um Catherine gelegt, den anderen um Ed Simmonds. Ed, einige
Jahre jünger als heute, trägt Knickerbocker aus Tweed und ein altes Khakitrikot.
Das Gesicht ist durch sein koboldhaftes Grinsen wie in zwei Hälften geteilt. Es
lässt ihn viel jünger erscheinen als die dreißig Jahre, die er damals alt war,
als ich das Foto aufnahm. Sein ungebärdiges Haar aus blonden kleinen Locken
steht in alle Richtungen ab, hauptsächlich nach oben. Er sieht eher aus wie
Artful Dodger aus Oliver Twist und nicht wie der zukünftige Marquis von Hartlepool,
Erbe von über achttausend Hektar und Hartlepool Hall. Der Junge amüsiert sich
köstlich, das ist deutlich zu erkennen. In der Mitte steht Francis, und er
sieht aus wie immer: silbergraues Haar mit schwarzen Strähnen, von der hohen
Stirn an stramm nach hinten gekämmt, hervorspringende Adlernase, tiefe
Lachfalten; allerdings lacht Francis nicht. Er hat überhaupt nie viel gelacht,
wenn ich mich recht erinnere, aber seine schmalen Lippen haben den vertrauten
ironischen Ausdruck, den er in Gesellschaft seiner jüngeren Freunde wie Ed und
mir gerne aufsetzte. Francis trägt einen ärmellosen Fair-Isle-Pullover,
darunter ein kariertes Hemd mit offenem Kragen und ausgebeulte Tweed-Hosen.
Seine Haut ist gebräunt - einigermaßen erstaunlich bei jemandem, der die meiste
Zeit seines Lebens in einem Weinkeller verbringt. Der brave Campbell, sein
Cockerspaniel, hockt zu Füßen seines Herrchens und schaut ergeben nach oben.
    Schließlich Catherine: Sie ist
mindestens einen ganzen Kopf kleiner als die anderen beiden und steht leicht
schräg versetzt zu ihnen, Francis hat einen Arm zwanglos um ihre Schulter
gelegt. Sie lacht, glaube ich, über einen

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