Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Vorbemerkung
Der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman veröffentlichte 1985 ein Buch, dessen Titel zu einem geflügelten Wort werden sollte: »Wir amüsieren uns zu Tode«. Es ist eine Streitschrift gegen die Dominanz des Fernsehens in den Vereinigten Staaten. »Weitgehend ohne Protest und ohne dass die Öffentlichkeit auch nur Notiz davon genommen hätte«, heißt es dort, »haben sich Politik, Religion, Nachrichten, Sport, Erziehungswesen und Wirtschaft in kongeniale Anhängsel des Showbusiness verwandelt. Wir sind im Zuge dieser Entwicklung zu einem Volk geworden, das im Begriff ist, sich zu Tode zu amüsieren.« Problematisch am Fernsehen, so Postmans Kernthese, »ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert«. Mit der Folge, dass seine Landsleute »die am besten unterhaltenen und zugleich wahrscheinlich die am schlechtesten informierten Leute der westlichen Welt« 1 seien. Postman sah eine schöne neue Welt kommen, die an die in Aldous Huxleys gleichnamigem düsteren Zukunftsroman erinnert. In ihr werden die Menschen nicht mit Gewalt unterdrückt, sondern durch eine totalitäre Entertainmentindustrie gefügig gemacht.
Über Postmans Kulturkritik lässt sich streiten, doch vieles von dem, was der 2003 verstorbene Wissenschaftler kritisierte, ist heute auch hierzulande erstaunlich aktuell. Was er nicht voraussah, war eine dramatische Wende in der Medienwelt. Heute lassen sich Millionen Menschen nicht nur passiv von Unterhaltungsangeboten berieseln, sie wollen selbst mitspielen, suchen das Rampenlicht und buhlen mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit. Auf dieses Bedürfnis bauen Fernsehformate wie Castingshows und mächtige soziale Online-Medien wieFacebook, Twitter, YouTube, Pinterest, Myspace & Co. Um den Siegeszug dieses Promi-Prinzips geht es in diesem Buch. Es erklärt, warum Celebrities aller Kategorien heute so allgegenwärtig sind, wie das Geschäft mit ihnen läuft und mit welchen Methoden man es ins Rampenlicht schafft. Es beschreibt den Reiz des Eitelkeitsbusiness – dem wir alle mehr oder weniger erliegen –, seine Profiteure und die Folgen. Wir inszenieren uns zu Tode.
Teil 1 Warum Blender, Luder und Paradiesvögel unsere Gesellschaft dominieren
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Die Celebrity-Formel
Paris Hilton und Margot Käßmann, Peter Sloterdijk und Dolly Buster, Angela Merkel und Wolfgang Joop, Marilyn Manson und Dieter Bohlen, Jogi Löw und Scarlett Johansson – sie alle haben etwas Wesentliches gemein: Sie sind prominent und deshalb allgegenwärtig. Wir begegnen ihnen, ob wir es wollen oder nicht, in Funk und Fernsehen, in Zeitungen, Magazinen und im Internet. Dort erfahren wir von ihren Leistungen und Fehlleistungen. Von ihren Meinungen, Haltungen und Outfits. Von ihren Ess-, Trinkgewohnheiten und Diäten. Von ihren Ehen, Scheidungen und Affären. Von ihren Freunden und Feinden. Von ihren Krankheiten und Neurosen. Von ihren Urlaubsplänen und Haustieren. Wir werden mit so vielen Informationen, Klatschgeschichten und Gerüchten über Prominente versorgt, dass wir meinen, sie tatsächlich zu kennen. Sie erscheinen uns zuweilen vertrauter als unsere Freunde, Kollegen und Partner. Sie sind das unübersehbare Spitzenpersonal der Selbstinszenierungsgesellschaft, in der vor allem das Image zählt.
Was aber ist das verbindende Element zwischen diesen so unterschiedlichen Figuren? Was heißt prominent, und wer gehört dazu? Einst stand der aus dem Lateinischen stammende Begriff prominens – man glaubt es heute kaum noch – für Qualität. Er bedeutet: hervorragend, tonangebend. Meyers Lexikon zählte zur Prominenz Personen, »die aufgrund ihrer öffentlichen Ämter oder ihrer beruflichen Berühmtheit besonderes Ansehen genießen und darum als repräsentierende Eliten ihrer Gesellschaft gelten«. Im Laufe der Zeit hat sich dieser Anspruch verflüchtigt – ja, vielfach ins Gegenteil verkehrt. »Je höher der Popularitätsgrad der jeweiligen Prominenten«, notierte der Schriftsteller Gregor von Rezzori einmal, »umso unerfindlicher und fragwürdiger wird, was diese Prominenz hervorgebracht hat und weiter aufrecht erhält.« 1 Das öffentliche Bild der VIPs scheint sich zu verselbstständigen, von der eigentlichen Person und Funktion zu lösen. Darauf deutet auch das frappierende Ergebnis einer Umfrage des Instituts Forsa aus dem Jahr 2003 zum Image verschiedener Politiker hin. 1630 Bürger gaben Auskunft. Fast alle erkannten
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