Bordeuax
dann zurück und blätterte in der Weinkarte. Mein Herz
pochte laut. Mir war gerade der Gedanke gekommen, dass der 82er Château Petrus
vielleicht nur deswegen noch auf der Website des Restaurants aufgeführt war,
weil sich keiner die Mühe gemacht hatte, die Liste auf den neuesten Stand zu bringen.
Wenn ich es mir recht überlegte, war es sogar sehr wahrscheinlich, dass alle
82er längst verkauft und ausgetrunken waren. Was sollte ich in dem Fall tun?
Hastig blätterte ich die pergamentartigen Seiten der Karte um, bis ich auf die
Titelzeile »Roter Bordeaux« stieß. Erleichtert atmete ich auf, der Château
Petrus stand noch da. Die ganze Zeit hatte ich den Atem angehalten. Bevor noch
jemand anders auf die Idee kam, den gleichen Wein auszusuchen und die letzte
Flasche zu trinken, winkte ich dem Sommelier.
Er kehrte zurück an meinen Tisch.
»Monsieur haben entschieden? Oder darf ich Ihnen vielleicht etwas empfehlen?«
Er war Franzose, noch ein gutes Zeichen.
»Nein. Ich hätte gerne den Château
Petrus. Den 82er.«
Der Sommelier wich einen Schritt
zurück. Er sah mich an und musterte meine Garderobe, die nicht die allerneueste
war. Ich habe in letzter Zeit keinen großen Wert auf gepflegte Kleidung gelegt.
Der Kellner sah mich erneut an und entschied, dass ich es ernst meinte. »Den Château
Petrus? Monsieur sind sich ganz sicher?«
»Ja. Ganz sicher.«
»Verzeihen Sie, aber haben Monsieur
den Preis gesehen? Es ist unser teuerster Wein.«
»Ich habe den 75er getrunken, den
78er und den 79er. Den 82er habe ich bisher noch nicht getrunken.«
Der Sommelier gewährte mir eine
tiefe Verbeugung. »Ich muss gehen, den Wein holen. Es ist ein ganz großartiger
Wein. Man darf ihn nicht in Eile trinken.«
Ich lachte ihn an. Er erwiderte mein
Lachen. Wir verstanden uns. Der Preis bedeutete nichts. Es war ein großartiger
Wein, ein Klassiker des letzten Jahrhunderts, vielleicht der beste Wein aller
Zeiten. Ihn zu trinken war allein schon ein Akt der Leidenschaft, ein Akt von
großer Kunstfertigkeit. Das Geld war unerheblich.
»Moment«, sagte ich und zog noch
einmal die Weinkarte zu Rate. »Als Vorspeise nehme ich ein Escalope de foie
gras. Dazu hätte ich gerne eine halbe Flasche guten Sauternes. Den 86er Château
Rieussec.«
»Selbstverständlich, Monsieur«,
sagte der Sommelier und verneigte sich wieder leicht. Er nahm mir die
Weinkarte ab und trat ein paar Schritte zurück, als würde er sich von
königlichen Hoheiten entfernen, bevor er sich leise davonmachte. Ich sah, wie
er mit dem Oberkellner am anderen Ende des Raums ein paar Worte wechselte,
woraufhin dieser streng zu mir herüberblickte.
Im nächsten Moment stand er auch
schon, übers ganze Gesicht strahlend, an meiner Seite. »Haben Sie bereits
entschieden, was Sie essen möchten?«, fragte er mich. »Oder darf ich Ihnen
etwas empfehlen? Den Wein haben Sie wohl schon ausgewählt.«
Ich bestellte die Gänseleber und
noch etwas anderes. Ich glaube, es war Lammkarree, und in der Speisekarte stand
»ab zwei Personen«, aber ich würde sowieso von keinem der Gerichte, die ich bestellte,
viel essen. Das saftige Lammfleisch würde den Geschmack des herrlichen Bordeaux
nur voll zur Entfaltung bringen.
Der Oberkellner versuchte kurz, ein
Gespräch in Gang zu bringen. »Von diesem bestimmten Jahrgang verkaufen wir nur
sehr wenige Flaschen. Wenn ich mich recht erinnere, sind nur noch zwei übrig.
Jacques wird Ihnen gleich eine aus dem Keller bringen. Ich vermute, Sie sind
ein großer Weinkenner.«
»Das kann ich nicht beurteilen«,
sagte ich, »aber es stimmt, ich sammle Wein. Mittlerweile habe ich schon so
einige Flaschen in meinem Keller.«
»Eine große Sammlung, nehme ich an.
Jacques hat mir gesagt, Sie würden bereits mehrere Jahrgänge von dem Petrus
kennen.«
»Ich weiß nicht, was Sie als groß
bezeichnen würden«, sagte ich.
»Die eine oder andere Sorte ist
schon darunter. Ungefähr einhunderttausend Flaschen.«
Wenn ich das erzähle - und ich gehe
damit nicht hausieren -, glauben die meisten, ich mache einen Witz oder ich
wäre verrückt. Wenn es verrückt ist, einhunderttausend Flaschen zu besitzen,
dann bin ich allerdings verrückt. Aber ich betrachte die Sammlung eher als eine
Investition, keine finanzielle, vielmehr eine Garantie, dass ich für den Rest
meines Lebens jederzeit erlesenen Wein trinken kann. Die meisten Flaschen habe
ich von Francis Black geerbt.
Der Oberkellner hielt mich auf jeden
Fall für verrückt. Er richtete sich auf, und
Weitere Kostenlose Bücher