Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
Vom Netzwerk:
Essen, der eine war Mitglied der Regierung, wenn mich nicht
alles täuschte. Ich war nicht weiter neugierig, und für sie war ich bestimmt
sowieso unsichtbar - nicht smart genug, allein an meinem Tisch, ein Objekt,
würdig nur eines flüchtigen Blicks, bis das wandernde Auge woanders im Raum auf
etwas Lohnenderes stieß.
    Das Lamm wurde serviert, unter einer
riesigen silbernen Glosche, und jetzt sahen doch einige Leute in meine
Richtung. Das Theater, das die Kellner veranstalteten, die schwungvoll die
Glosche hoben und das Lammkarree mit den kleinen Papierkrönchen auf jedem
Keulchen präsentierten, weckte ihre Aufmerksamkeit.
    Der Sommelier stand neben mir und
fragte mich, ob ich den Wein probieren wolle. Ich wagte nicht zu sprechen,
nickte nur zustimmend. Sehr wenig wurde in mein Glas eingeschenkt, der Kellner
wärmte den Kelch mit den Händen und bewegte ihn ganz leicht, so dass die
dunkle, fast violette Flüssigkeit für einen Augenblick seinen Meniskus verlor.
Dann reichte er mir das Glas. Zuerst tauchte ich in den Duft des Weins ein, und
erst danach, als meine Nase und meine Lungen von seinem Aroma erfüllt waren,
trank ich einen Schluck.
    Ich wusste, was mich erwartete: der
Geschmack von Trüffeln, Gewürzen und süßem Obst. Danach traten diese
Geschmacksrichtungen in den Hintergrund, und es war, als würde man ein anderes
Land betreten, einen Ort, von dem man bisher nur gehört hatte, nach dem man
sich gesehnt hatte, den man aber noch nie aufgesucht hatte. Es war eine
Erfahrung, die mit dem gängigen Vokabular des Weinliebhabers nicht zu erfassen
ist, eigentlich überhaupt nicht mit Worten zu beschreiben. Ich trank einen
kleinen Schluck und war urplötzlich so glücklich, dass sich meine Miene
aufhellte. Ich glaube, ich habe sogar gelacht.
    Der Sommelier lachte ebenfalls.
»Wundervoll, nicht, Sir?«
    Ich reichte ihm das Glas, und er
inhalierte das Aroma. »Es ist wundervoll«, sagte ich zu ihm.
    Wieder lachte er. »Es gibt nichts
Vergleichbares auf der Welt, Monsieur.« Danach füllte er mir mit vollendeter
Eleganz das Glas und ließ mich allein, damit ich in Ruhe genießen konnte. Der
Kellner schnitt mir zwei Scheiben von dem Lammkarree ab, und ich aß ein wenig
von der einen, wieder nur so viel, dass der Geschmack den des Weins abrundete.
    Ich verzehrte einzelne Bissen Lamm
und trank in kleinen Schlucken. In dem anderen Land, in das der Wein mich
entführte, war Catherine. Sie saß nicht direkt mit mir am Tisch, es verhielt
sich subtiler. Sie stand irgendwo hinter meiner linken Schulter, und obgleich
ich sie nicht erkennen konnte, wusste ich, wie sie aussah: fünfundzwanzig Jahre
alt und bildhübsch, so, wie sie die letzten beiden Jahre gewesen war. Über das
Geklapper der Messer und Gabeln und den zunehmenden Geräuschpegel der
Gespräche hinweg hörte ich sie summen. Früher war sie Mitglied in einem Chor
gewesen, und es war eine Arie von Bach, die sie jetzt sang. Ich weiß nicht
mehr genau, welche, aber ich erinnerte mich an die Melodie und an den reinen
Klang ihrer Stimme. Ich fiel in ihr Summen ein, was ich manchmal getan hatte,
obwohl sie der Meinung gewesen war, ich hätte kein Gespür für Musik.
    Der Oberkellner trat an mich heran.
»Entschuldigen Sie, Sir, aber würden Sie bitte nicht so laut summen. Die
anderen Gäste könnten sich gestört fühlen.«
    Umgehend löste sich das Bild von
Catherine auf, und es war wie eine Verwerfung in meinem Kopf. Der Wein
schmeckte plötzlich fad und uninspiriert. »Habe ich gesummt?«, fragte ich,
meine Verärgerung über die Unterbrechung meiner heiteren Stimmung kaum
zügelnd. »Das tut mir schrecklich leid.«
    Ich beugte mich über meinen Teller
und führte den nächsten Happen Lamm mit der Gabel zum Mund, in der Hoffnung,
der Oberkellner würde sich gleich wieder verziehen.
    Er senkte den Kopf und sagte: »Sehr
verbunden, Sir. Entschuldigen Sie die Störung, Sir. Vielen Dank.«
    Der Sommelier kam und goss mir etwas
nach, und mir fiel auf, dass ich die Flasche schon zur Hälfte ausgetrunken
hatte. Als er mir einschenkte, fragte ich ihn: »Sagten Sie, das sei die
vorletzte Flasche in Ihrem Keller?«
    »Ja, Monsieur, das stimmt. Nur noch
eine Flasche, dann ist er aus. Ich glaube nicht, dass es überhaupt noch viele
Flaschen dieses Jahrgangs in London gibt.«
    »Dann bringen Sie sie und
dekantieren Sie sie bitte.«
    »Sind Sie ganz sicher, Monsieur?«,
erwiderte der Sommelier. »Zwei Flaschen von diesem Wein an einem Abend, für
eine Person. Ist das nicht ein

Weitere Kostenlose Bücher