Boys Dont Cry
dem Einschlafen wieder rumgeschoben zu werden. Dann wacht sie auf und ist richtig schlecht drauf.«
Und warum sollte das ausgerechnet mein Problem sein?
Tja, weil das Baby angeblich … von … von mir war. Ich drehte mich halb zu ihm, um es anzusehen, aber ich schaffte es nicht. Wenn ich es nicht ansah, wenn ich es einfach ausblendete, dann wäre es vielleicht nicht real. Nichts von alldem hier wäre real. Ich wünschte mir nichts sehnsüchtiger als jemanden, der mir verriet, was ich denken und wie ich fühlen sollte. Denn ich war völlig planlos. Ich empfand einfach nur … Angst. Nein, vergiss es – es war Panik. Eine lähmende Panik, die Herzrasen, kalten Schweiß und Übelkeit bei mir hervorrief. Was wollte Melanie von mir?
Ich schüttelte den Kopf.
»Bitte, Dante«, bettelte Melanie. »Wenn Emma aufwacht, bin ich längst zurück, versprochen. Sie wird jetzt ein paar Stunden schlafen.«
»Melanie, ich weiß überhaupt nicht, was ich tun soll, wenn sie wach wird.« Und das war weiß Gott die Wahrheit.
»Du musst gar nichts tun. Ich bin in spätestens einer Viertelstunde wieder da. Okay?« Melanie verließ bereits das Wohnzimmer und steuerte auf die Haustür zu.
»Du kannst sie nicht einfach bei mir abladen«, protestierte ich.
»Wenigstens nennst du Emma jetzt ›sie‹ und nicht mehr ›es‹.«
»Melanie, ich meine es ernst«, sagte ich. »Du kannst auf keinen Fall ein Baby hierlassen.«
»Ach, jetzt hab dich mal nicht so, Dante. Ich komme ja schließlich wieder zurück!«
»Du kannst dein Baby nicht hierlassen«, beharrte ich. Mein Ton war vor Panik scharf wie zerbrochenes Glas. »Ich wollte gerade weggehen.«
»Ja, klar, aber nicht gleich. Du hast doch gesagt, dass du auf deine Ergebnisse wartest. Ich bin bald zurück.« Melanie hatte bereits die Haustür geöffnet. »Und sie ist nicht nur ›mein‹ Baby. Sie ist auch deines. Vergiss das nicht.«
»Melanie, warte. Du kannst nicht einfach –«
Aber sie war bereits losgestiefelt. »Bis gleich.«
»Ich kann doch die Sachen besorgen, und du passt solange auf dein Baby auf!«, rief ich ihr nach.
Melanie drehte sich um, blieb jedoch, wo sie war. Sie konnte mir nicht in die Augen sehen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. »Dante, welche Windelmarke kaufe ich? Was für Babynahrung mag Emma? Womit creme ich sie abends nach dem Baden ein? Welche Salbe nehme ich gegen Windelausschlag? Welches Buch lese ich ihr immer vor dem Einschlafen vor?«
»Na ja, das wirst du ja wohl nicht alles jetzt besorgen, oder?«, brachte ich vor. »Also sag mir einfach, was ich kaufen soll, dann erledige ich das.«
»Dante, was ist eigentlich mit dir los? Hast du Angst, dass sie dich beißt oder was? Ich bin bald wieder da, in Ordnung? Und dann können wir uns richtig unterhalten.«
Nein, es war nicht in Ordnung. Und ich wollte mich auch nicht mehr mit Melanie unterhalten oder sonst irgendwas mit ihr zu tun haben. Sie sollte einfach nur mit ihrem Baby verschwinden und wegbleiben. Wenn ich doch einfach nur zurück in mein Bett schlüpfen und diesen Morgen ausradieren, noch einmal aufwachen und ganz von vorn beginnen könnte. Meine Hilflosigkeit wuchs, während ich ihr nachblickte. Mit jedem Schritt, den sie sich von mir entfernte, zog sich der Knoten in meinem Bauch fester zusammen. Ich ging wieder nach drinnen. Am liebsten hätte ich die Tür so lange zugeknallt, bis sie aus den Angeln fiel, aber ich konnte nicht riskieren, das Baby aufzuwecken, bevor Melanie zurückkam.
Ich hatte ein Kind. Emma. Meine Tochter …
O Gott …
Was sollte ich bloß tun?
Dad …
Was würde Dad sagen?
Und mein Bruder?
Und meine Freunde?
O Gott …
Es klingelte an der Tür.
Melanie. Sie war zurückgekommen. Gott sei Dank! Das ging aber schnell … Oh … jetzt kapierte ich es erst. Sie würde mir sagen, dass alles nur ein schlechter Scherz war. Der wahrscheinlich auf das Konto meines Kumpels Joshua ging. So eine Nummer war genau sein Ding. Ein richtiger Witzbold eben. Wenn er glaubte, mich so verarschen zu können … dem würde ich es zeigen! Ich riss die Tür auf.
»Schönen Tag. Ein Päckchen für deinen Dad, für das ich eine Unterschrift brauche, und ein paar Briefe«, sagte der Postbote munter.
Wie benebelt unterschrieb ich mit dem digitalen Stift auf dem Unterschriftengerät, das mir der Briefträger hinhielt. Dann überreichte er mir einen wattierten DIN-A-4-Umschlag und ein paar
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