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BRAINFUCK

BRAINFUCK

Titel: BRAINFUCK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Berger
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vergewissern, dass der Schatten der Gesuchte war.
    Ratternd fuhr die Bahn ein. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete sie, wie der Fremde einstieg. Schnell trat sie einen Schritt vor, drückte den Türöffner und betrat ebenfalls den Waggon. Sie sah sich um, als würde sie nach einem Platz Ausschau halten, und musterte dabei den Mann. Das lange blonde Haar war unverkennbar und diesen Trenchcoat hätte sie überall wiedererkannt. Er setzte sich nicht. Hoch aufgerichtet blieb er bei den Türen stehen. Denise ließ sich auf einen freien Platz fallen und tat so, als würde sie aus dem Fenster sehen. In der Scheibe konnte sie sein Spiegelbild mustern. Er stand ruhig da, in sich gekehrt, als meditiere er. Kurz vor der Haltestelle Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt hob er die Hand, streifte sich die langen Strähnen aus dem Gesicht und sah zu ihr hin. Seine Augen waren tiefschwarz und schienen vor Energie zu glitzern. Denise ließ sich nicht beirren und täuschte weiter Interesse an den vorbeiziehenden Lichtern der Stadt vor. Die Bahn verlangsamte ihre Fahrt, der Mann drehte sich zum Ausgang. Sie schlüpfte von ihrem Sitz und schlenderte zum hinteren Teil des Fahrzeugs.
    Zischend öffneten sich die Türen. Sie trat auf den Bahnsteig, warf einen schnellen Blick zu ihm hinüber. Er hatte sich nach rechts gewandt. Ein leichter Wind war aufgekommen und bauschte seinen Mantel. Denise entfernte sich in Gegenrichtung, blieb hinter einem Stahlträger stehen und wartete ab. Der Mann überquerte die Fahrbahn, ging ohne Eile den Bürgersteig entlang. Nachdem er um eine Ecke gebogen war, kam Bewegung in Denise. Sie gab sich Mühe, ihr Tempo zu drosseln, um nicht aufzufallen. An der Seitenstraße stoppte sie und spähte hinein. Sie musste sich zu ihrem Glück gratulieren. Er war im Begriff in einer Hofeinfahrt zu verschwinden, der Saum seines Mantels schien einen letzten Gruß zu winken. Wohnte er dort? Oder hatte er sie bemerkt und stellte ihr eine Falle? Er hatte nicht gewirkt, als würde er sich Gedanken um mögliche Verfolger machen. Und der Blick in der U-Bahn? Zufall? Wenn er war wie sie, konnte er so unbekümmert agieren? Immerhin tötete er Menschen!

    *

    Er ist wie du! Die leise Stimme in ihrem Unterbewusstsein war nicht zu überhören. Es hätte dieser Aufforderung nicht bedurft. Denise erreichte die Hausecke und versuchte das Dunkel der Einfahrt mit ihren Blicken zu durchdringen. Aus einem Fenster drang ein sanfter Lichtschein. Sie schlich näher. Es war gekippt, die Vorhänge zugezogen. Sie schob sich an den Rahmen heran und lauschte.
    »Hast du mir etwas mitgebracht?«
    Es war die Stimme einer älteren Frau. Sie klang müde.
    »Natürlich Mutter.«
    In Denises Nacken stellten sich die Härchen auf. Diese Stimme hatte denselben Unterton, den sie benutzte, wenn sie ihre Opfer arglos machen wollte! Schritte waren zu hören, Stille folgte.
    »Ah, danke Patrick!«
    Die Frau hörte sich erfrischt an, wie von einer Last befreit. Denise hatte genug gehört, sie zog sich zurück. Er war wie sie! Zumindest so ähnlich. Er tötete mit Gewalt, das war der erste Unterschied, und er benutzte die gewonnene Energie nicht für sich, das war der zweite.
    Wie dumm von ihm. Stärke, Schnelligkeit, gewaltige Selbstheilungskräfte und nicht zuletzt Unsterblichkeit – das alles hätte er bekommen können. Was tat er? Er verschenkte es. Törichter Patrick!

    *

    Die Nacht war ihr endlos erschienen, ruhelos war sie durch die Wohngebiete der schlafenden Stadt gelaufen und hatte nachgedacht. Sie wollte diesen Patrick kennenlernen, das war ihr klar geworden. Gegen acht Uhr war sie in einem Café unweit seiner Wohnung gestrandet. Sie nippte an ihrem Tee. Wie sollte sie an ihn herankommen? Ich kann doch nicht zu ihm gehen und an der Tür klingeln? Oder doch?
    Der Metallstuhl schepperte, als sie ihn zurückschob. Ein Zwei-Euro-Stück landete neben der Teetasse und sie verließ das Lokal.
    Das Haus machte bei Tageslicht einen warmen, heimeligen Eindruck. Denise stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und betrachtete es.
    Wie mein eigenes Spiegelbild , dachte sie. Von außen scheint es harmlos zu sein, und im Inneren wohnt ein Monster.
    Mit einem Kribbeln im Bauch und einem leisen Kichern im Hinterkopf überquerte sie die Straße. ›P. und M. Maurer‹ war mit Kugelschreiber auf das Klingelschild, das zur Erdgeschosswohnung gehörte, gekritzelt. Sie klingelte. Eine halbe Minute lang passierte nichts. Denise schwankte zwischen gehen und abermals

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