BRAINFUCK
damit begann, dass ich Erich anrief.
»Hallo Erich … ich … es tut mir leid, dass ich weggerannt bin. Ich will zurück zu dir. Ich vermisse dich sehr«, hauchte ich, Unsicherheit und Reue spielend, in mein Handy. Ich schaffte es, ein leichtes Lallen einzubauen, das ihm das Gefühl geben sollte, es mit der leicht zu beeinflussenden, naiven Jenny von früher zu tun zu haben. Er schwieg einige Sekunden.
»Jaaaa … dann komm am Besten vorbei, dass wir reden können. Ich bin den ganzen Tag über zu Hause. Und bring Bier mit!« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, legte er auf.
Ich ahnte, was in seinen Gedanken vorging: Ha! Klar, dass das Miststück zurückkommt! Der werde ich es erst mal richtig besorgen!
Hätte er gewusst, wie vollständig er sich irrte …
*
Kurz nach vierzehn Uhr stand ich vor der Tür seiner Wohnung. Er teilte sie sich mit einem Freund, der um diese Zeit seinem Minijob im Supermarkt nachging. Wir würden ungestört sein. Als ich die Hand zur Klingel hob, klimperten die Bierflaschen in der Umhängetasche leise. Es war aufregend gewesen, nach einer gefühlten Ewigkeit wieder Alkohol zu kaufen, und noch aufregender war es, mir den Mund gründlich mit dem Zeug auszuspülen und ein paar Tropfen davon in die Haare und auf das Shirt zu verteilen. Erich dadurch in Sicherheit zu wiegen, gehörte zum Plan.
»Ah, da bist du ja. Hast du Bier dabei?« Seine Worte klangen verwaschen, und als er zur Seite trat, um den Eingang freizugeben, wirkten seine Bewegungen unsicher. Nichts anderes hatte ich erwartet.
»Natürlich hab ich Bier mitgebracht«, versicherte ich, während ich mich an ihm vorbei in den muffigen Flur drückte. Sein Hemd hing ihm halb aus der Hose und er roch säuerlich nach Schweiß und alkoholischen Ausdünstungen.
Im Wohnzimmer stellte ich die Tasche mit den Flaschen auf den schmierigen Tisch und drehte mich zu ihm um. Er trat dicht an mich heran, seine Fahne wirkte wie eine Ohrfeige.
»Machst mir eins auf, bevor …?«, lallte er und griff mir an die Brust.
»Natürlich, Schatz«, erwiderte ich.
Xande kicherte leise in seinem Versteck. Ich fasste eine Bierflasche fest am Hals, schlug an der Tischkante den Boden ab und rammte sie Erich in den Magen. Schaum spritzte durch den Raum. Eine Mischung aus Gerstensaft und Blut tränkte sein Hemd. Er riss die Augen auf, keuchte gurgelnd und versuchte nach meinem Hals zu greifen. Ich hob die Flasche und zog sie durch sein Gesicht. Für einen Augenblick blitzte weißer Knochen in den klaffenden Schnitten an der Stirn und am rechten Nasenflügel, dann färbten sie sich rot. Er schlug die Hände vors Gesicht. Was folgte, erfüllte mich mit vollkommener Zufriedenheit. Xande lachte ausgelassen und wurde umso fröhlicher, je weiter ich mein Spiel trieb. So funktioniert das also, ›für sich sorgen‹. Endlich habe ich das begriffen.
*
Ein Schlüsselbund rasselt und ein groß gewachsener Mann öffnet die Tür zu meinem Zimmer.
»Es ist Zeit für die Arbeitstherapie, Frau Bremer. Sind Sie fertig?«, fragt er freundlich.
Die Aufseher hier sind sehr nett und immer adrett gekleidet, nicht wie die im Gefängnis. Hier in der Forensik versteht man Menschen wie mich. Seit ich nicht mehr trinke, geht es mir gut. Ich habe vier Wände, eine Arbeit und fühle mich beschützt und gut aufgehoben.
Alfred Berger
… wurde 1963 in Rosen heim/Obb. geboren und ist dort auch aufgewachsen. Als Kind war er sehr neugierig, fantasievoll und aktiv. Das kollidierte allerdings mit den katholischen Lebensvorstellungen einer Vorstadt, einem alkoholabhängigen Vater und einer überforderten Mutter. Es entstand die Tendenz, in andere Welten zu flüchten, die er in Alkohol und Drogen fand. Nach 28 Jahren Suchtgeschichte – mit deutlich mehr Tiefen als Höhen – entschloss er sich 2006 zu einer Therapie und ist seither clean. 2007 begann er Theater zu spielen und 2010 entdeckte er seine Liebe zum Schreiben (neu). In seinen Texten finden menschliche Abgründe und die dunkle Seite der menschlichen Seele ihr Zuhause.
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