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Der Wind der Erinnerung

Der Wind der Erinnerung

Titel: Der Wind der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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Prolog
    Sydney 1989
    D as Mädchen tanzte.
    Rechtes Bein, pas de chat. Rechtes Bein, petit jeté.
    »Emma, deine Großmutter hat dich etwas gefragt.«
    »Hmm?«
Linkes Bein, pas de chat. Linkes Bein, petit jeté.
Weiter und immer weiter über den Parkettboden, von einem Sonnenstrahl zum nächsten. Sie liebte Großmutters Haus, vor allem das Musikzimmer, in dem die Sonne ein Muster durch die duftigen Vorhänge warf und es genügend Platz gab, um zu tanzen und zu tanzen.
    »Emma, ich sagte …«
    »Lass sie doch«, erwiderte Grandma mit ihrer leisen, musikalischen Stimme. »Es macht mir Freude, sie tanzen zu sehen.«
    Rechtes Bein, pas de chat …
    »Wenn sie an ihrem Benehmen so fleißig arbeiten würde wie an ihrem Tanz, wäre sie nicht schon von zwei Schulen verwiesen worden.«
    Rechtes Bein, petit jeté …
    Grandma lachte leise. »Sie ist erst elf. Da bleibt noch viel Zeit, um Benehmen zu lernen. Und du bestehst ja auch darauf, sie auf diese vornehmen Schulen zu schicken.«
    Linkes Bein, pas de chat …
»Nein, nein, nein!« Emma stampfte mit dem Fuß auf.
Tief durchatmen. Von vorn anfangen. Linkes Bein, pas de chat. Linkes Bein, petit jeté …
Auf einmal bemerkte sie die Stille im Raum und blickte auf, ob sie allein war, doch Grandma saß noch auf dem tiefen Sofa neben dem Flügel und beobachtete sie. Emma schüttelte sich, straffte den Rücken und erwiderte ihren Blick. Über Grandmas Kopf hing ein großes Gemälde, das einen Eukalyptusbaum bei Sonnenuntergang zeigte: Grandmas Lieblingsbild. Emma konnte nicht verstehen, was an einem Baum so interessant sein sollte, aber es gefiel ihr, weil es ihrer Großmutter gefiel.
    »Ich dachte, du wärst gegangen«, sagte sie schließlich.
    »Nein, ich habe dir zugesehen. Deine Mutter ist vor zehn Minuten gegangen. Ich glaube, sie ist bei Grandpa im Garten.« Grandma lächelte. »Das Tanzen bedeutet dir sehr viel, nicht wahr?«
    Emma konnte nur nicken. Sie hatte noch kein Wort gefunden, mit dem sie beschreiben konnte, was ihr das Tanzen bedeutete. Liebe war es nicht; es war viel größer und gewichtiger.
    Grandma klopfte neben sich auf das Sofa. »Setz dich ein Minütchen zu mir. Selbst eine Primaballerina sollte sich mal ausruhen.«
    Emma musste sich eingestehen, dass ihre Oberschenkel weh taten, doch das war ihr egal. Sie sehnte sich nach schmerzenden Muskeln und blutenden Zehen. Man hatte ihr gesagt, sie würde immer besser. Doch es war sehr nett von Grandma gewesen, dass sie die ganze Zeit zugeschaut hatte. Also ging sie zu ihr und setzte sich. Irgendwo im Inneren des Hauses war Musik zu hören, ein altes Big-Band-Stück, das Grandpa liebte. Emma hatte Grandma tausendmal lieber als Grandpa. Er erzählte pausenlos, vor allem von seinem Garten. Emma wusste, dass ihre Grandma und ihr Grandpa wichtige Leute mit viel Geld waren, obwohl es sie nicht sonderlich interessierte, was sie machten oder früher einmal gemacht hatten. Grandma war lustig und Grandpa langweilig, fertig, aus.
    »Erzähl mir etwas über dein Tanzen«, sagte Grandma und nahm Emmas zarte Hand in ihre weichen Finger. »Möchtest du Ballerina werden?«
    Emma nickte. »Mum sagt, nur die wenigsten werden Ballerina, und ich solle vorsichtshalber noch etwas anderes lernen. Aber dann hätte ich nicht mehr genügend Zeit zum Tanzen.«
    »Nun, ich kenne deine Mutter ihr ganzes Leben lang.« Grandma lächelte, wobei kleine Fältchen in ihren Augenwinkeln sichtbar wurden. »Sie hat nicht immer recht.«
    Emma musste lachen und kam sich herrlich ungezogen vor.
    »Du musst aber hart dafür arbeiten.«
    Sie wurde wieder ernst und reckte das Kinn in die Höhe. »Das tue ich schon.«
    »Ja, ja, nach allem, was ich höre, arbeitest du so hart am Ballett, dass dir keine Zeit mehr für etwas anderes bleibt. Zum Beispiel, Freunde zu finden.« Ein Ausdruck, den sie nicht verstand, trat auf Grandmas Gesicht. War es Sorge? Oder etwas anderes? Sie saßen eine Weile schweigend da. Die Herbstsonne fiel schräg durch die Äste, die im Wind schwankten. Hier drinnen aber war es ruhig und warm.
    »Weißt du«, sagte Grandma und drückte noch einmal Emmas Hand, bevor sie sie losließ, »ich möchte dir etwas versprechen.«
    »Was denn?«
    »Es soll ein Anreiz für dich sein.«
    Emma wartete ab, weil sie nicht genau wusste, was das Wort bedeutete.
    »Wenn du eine Ballerina wirst, werde ich dir etwas schenken. Etwas sehr Kostbares.«
    Emma wollte nicht unhöflich sein, verspürte aber keine echte Begeisterung. Also lächelte sie artig

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