Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brandzeichen

Brandzeichen

Titel: Brandzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
er eine Nummer in Los Angeles an, die er sich schon vor langem fest eingeprägt hatte. Ein Mann meldete sich, indem er die gewählte Nummer wiederholte. E5 war eine von den drei Stimmen, die sich gewöhnlich meldeten: die weiche mit dem dunklen Timbre. Häufig meldete sich ein anderer mit einer unfreundlichen, scharfen Stimme, die einem in den Ohren weh tat. Seltener meldete sich eine Frau; ihre Stimme war sexy, kehlig, und doch irgendwie mädchenhaft. Vince hatte sie nie zu Gesicht bekommen, aber oft versucht, sich auszumalen, wie sie aussehen mochte,
    Als jetzt der Mann mit der weichen Stimme die Nummer genannt hatte, sagte Vince:
    »Erledigt. Ich weiß es wirklich zu schätzen, daß Sie mich gerufen haben, und stehe stets zur Verfügung, wenn Sie wieder was haben.« Er war überzeugt, der Mann am anderen Ende der Leitung würde seine Stimme ebenfalls erkennen.

    »Ich bin entzückt zu hören, daß alles gut gelaufen ist. Wir wissen Ihre fachmännische Arbeit sehr zu würdigen. Und jetzt geben Sie gut acht«, sagte die Kontaktperson. Der Mann nannte eine siebenstellige Telefonnummer. Überrascht wiederholte Vince die Nummer. Der Kontaktmann sagte;
    »Das ist eine Telefonzelle im Fashion Island Shopping Center. Sie befindet sich auf der Ladenstraße draußen im Freien, in der Nähe von Robinson's Department Store, Können Sie in einer Viertelstunde dort sein?«
    »Sicher«, sagte Vince.
    »In zehn Minuten.«
    »Ich rufe dort in fünfzehn Minuten an und sage Ihnen die Einzelheiten.« Vince legte auf und ging pfeifend zu seinem Lieferwagen zurück. Wenn sie ihn zu einem anderen öffentlichen Telefon dirigierten, um ihm >Einzelheiten< bekanntzugeben, dann konnte das nur eines bedeuten: Sie hatten sicher wieder einen Auftrag für ihn - zwei an einem Tag!
    Später, nachdem der Kuchen gebacken und glasiert war, zog sich Nora in ihr Schlafzimmer in der Südwestecke des Obergeschosses zurück.
    Zu Lebzeiten von Violet Devon war das hier Noras Zufluchtsort gewesen, obwohl die Tür kein Schloß hatte. Wie alle Zimmer in dem großen Haus war auch dieses vollgestopft mit schwerem Mobiliar, so als befände sich hier keine Wohnstätte, sondern ein Lager. Der Raum war auch in jeder anderen Beziehung trostlos. Dennoch war Nora, wenn sie ihre Pflichten getan oder von der Tante nach einem von deren endlosen Vorträgen entlassen worden war, in ihr Schlafzimmer geflohen, um sich in Bücher oder lebhafte Tagträume zu flüchten.
    Einem unwiderstehlichen Drang nachgebend, kam Violet ohne Vorwarnung, um nach ihrer Nichte zu sehen, indem sie sich lautlos über den Korridor schlich, plötzlich die nicht versperrbare Tür aufriß und ins Zimmer trat, in der Hoffnung, Nora bei irgend etwas Verbotenem zu ertappen. Diese unangekündigten Inspektionen waren in Noras Kindheit und Jungmädchenzeit häufig gewesen, dann seltener geworden, hatten  aber auch noch in den letzten Wochen von Violets Leben, als Nora eine erwachsene Frau von neunundzwanzig gewesen war, stattgefunden. Violet bevorzugte dunkle Kleidung, trug ihr Haar in einem straffen Knoten und ging stets ohne eine Spur von Make-up auf dem blassen, kantigen Gesicht aus dem Haus. Oft hatte sie deshalb eher wie ein Mann gewirkt - ein strenger Mönch im groben Büßergewand, der durch die Gänge eines düsteren mittelalterlichen Klosters streift, um seine Klosterbrüder zu beaufsichtigen. Wurde Nora bei Tagträumen oder einem Schläfchen erwischt, führte das zu strengem Tadel und zu Hausarbeit als Bestrafung. Die Tante duldete Faulheit nicht. Bücher waren erlaubt -sofern Violet sie vorher gebilligt hatte -, weil Bücher zum einen der Bildung dienten. Außerdem hatte Violet oft geäußert:
    »Schlichte, unansehnliche Frauen wie du und ich führen kein strahlendes Leben, kommen an keine exotischen Orte. Also haben Bücher eine besondere Bedeutung für uns. So gut wie alle Dinge des Lebens können wir ersatzweise bekommen, durch Bücher. Das ist nicht Schlecht. Durch Bücher leben ist sogar besser, als wenn man Freunde hat und,,, Männer kennt.« 
    Mit der Unterstützung eines gefügigen Hausarztes hatte Violet es fertiggebracht, Nora ihrer angeblich angegriffenen Gesundheit wegen vo n den öffentlichen Schulen fernzuhalten, Sie war zu Hause erzogen worden, also waren Bücher auch ihre einzige Schule gewesen. Davon abgesehen, daß sie mit dreißig Jahren bereits Tausende von Büchern kannte, hatte Nora sich daneben autodidaktisch als Künstlerin in den Techniken Öl, Acryl, Aquarell und

Weitere Kostenlose Bücher