Frauen verstehen mehr von Liebe
Es war noch früher Morgen, die Schatten der Nacht waren gerade den ersten Strahlen der Sonne gewichen. Noch verhältnismäßig still lag die Straße da; der Verkehr, an dem sie tagsüber zu ersticken pflegte, ruhte noch, er mußte erst wieder dazu ansetzen, jene verheerende Dichte zu gewinnen, die den modernen Großstadtmenschen mehr und mehr verzweifeln läßt, weil ihm vor diesem Moloch sogar unaufhörlich steigende Benzinpreise keine Rettung versprechen.
Auch auf den Bürgersteigen zeigte sich noch wenig Leben. Vereinzelt strebten Arbeiter zu ihrer Frühschicht. Über den Fahrradweg neben der breiten Chaussee flitzte ein Bäckerjunge, der zu spät dran war und wieder einmal sehr seine Berufswahl bereute, weil sie ihn dazu zwang, so früh aufzustehen, und ihn eben überhaupt jetzt, im Frühling, bei einer Sonne, welche die grünen Spitzen aus dem Boden lockte und die Bäume zum Blühen reizte, an einen heißen Backofen fesselte.
Neben Arbeitern und dem Bäckerjungen – solchen also, denen es verwehrt war, sich in ihren Betten noch von einer Seite auf die andere zu drehen – fiel eine sehr hübsche junge Dame aus dem Rahmen, die auch schon auf den Beinen (besonders aufregenden Beinen) war, obwohl man das von ihr durchaus nicht erwartet hätte. Mädchen dieser Sorte sind nämlich im allgemeinen Langschläferinnen. Sie können es sich auch leisten, das zu sein. Das Leben zeigt sich ihnen von der angenehmeren Seite, es zwingt sie nicht zur Ausübung ungeliebter Berufe. Sie müssen sich nicht abstrampeln – höchstens auf dem Tennisplatz. Es liegt in ihrem Belieben, in den Hafen einer Ehe einzulaufen, die es ihnen auch wieder nur zu ihrer Hauptaufgabe macht, sich zu pflegen – es sei denn, sie sind nicht intelligent genug, auf eine Verbindung mit einem Werkstudenten oder einem ähnlichen unsicheren Kantonisten zu verzichten.
Die junge Dame aber, von der hier die Rede ist, war aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie wartete nicht auf einen jener ›s. gut ausseh. großzüg. vital. Unternehm. unt. 50‹, die heutzutage mit ihren Selbstanpreisungen (›seriös, bescheiden‹) die Bekanntschaftsinserate der Boulevardblätter füllen, sondern stellte sich auf ihre eigenen Beine. Daß dieselben außerordentlich hübsch waren, wurde schon erwähnt. Sie waren sogar so hübsch, daß man es gar nicht oft genug erwähnen kann.
Ähnliches ließ sich von der jungen Dame in ihrer Gänze sagen, denn es verhielt sich keineswegs so, daß an ihr die Beine etwa eine einsame Attraktion dargestellt hätten, mit der anderes – das Gesicht, das Haar, der Busen, die Hüften, der Po (!) usw. – nicht Schritt hätte halten können. Sonja Kronen – so hieß sie – war nicht ein Teil –, sondern ein Gesamtwerk der Natur, das als ›bestens gelungen‹ bezeichnet werden durfte. ›Die ist‹, hatte kürzlich ein bekannter Filmproduzent gesagt, der ihr eine Rolle in seinem nächsten Streifen angeboten hatte, ›unglaublich verrückt – sie arbeitet! Das hätte die doch gar nicht nötig. Oder sie hat nicht begriffen, was mein Angebot bedeutete.‹
Doch, doch, begriffen hatte die das schon. Sonja Kronen war nämlich auch ein sehr intelligentes Mädchen, der nicht erst ein verfetteter Filmproduzent die Augen hätte öffnen müssen, wie das Leben so läuft.
Im übrigen wäre eine schauspielerische Betätigung auch allergeringster Natur etwas völlig Neues in ihrem Dasein gewesen. Ihre Fähigkeiten lagen auf einem anderen Gebiet. Sie war gelernte Modezeichnerin. Jener Filmmensch hatte nur zufällig ihren Weg gekreuzt – in einem Speiserestaurant – und versucht, sich sogleich auf sie zu stürzen. Das Modezeichnen allein genügte ihr nicht. Sie wollte ›mehr aus sich machen‹. Vor einem halben Jahr hatte sie deshalb planmäßig begonnen, ein eigenes einschlägiges Geschäft zu gründen. Das Ganze war ein sehr gewagter Sprung ins kalte Wasser.
Heute nun hatte sie schon in der Morgendämmerung ihre kleine Wohnung verlassen. Nach einer Nacht, in der sie kaum geschlafen hatte, war sie voller Unruhe. Das hatte seinen Grund. Mit dem heutigen Tag begann ein neuer Lebensabschnitt für Sonja Kronen.
Ohne recht zu bemerken, was um sie herum vorging, lief sie durch die Straßen, die sich mit fortschreitender Zeit mehr und mehr belebten. Zuletzt stand sie vor einem mittelgroßen Schaufenster und atmete tief ein, so daß sich unter ihrer Bluse die dort beheimatete, süße, allseits begehrte Brust in noch hübscherer Form und noch wahrnehmbarerem
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