Braut wider Willen
hatte sein Profil gesehen und zum ersten Mal den kleinen Höcker auf seinem langen Nasenrücken bemerkt, sein kantiges Kinn, die feine, gerade Linie seines Mundes.
Phoebe verzog ihr Gesicht in der Dunkelheit. Es hätte wieder vergehen müssen, hätte nur einen Augenblick himmlischen Wahnsinns dauern sollen. Und doch war es nicht vergangen. Sie hatte seine Stimme gehört, seinen Schritt auf der Treppe, und hatte in ihrem Inneren ein Beben gespürt. Betrat er einen Raum, musste sie sich setzen, ehe ihre Knie unter ihr nachgaben.
Es war absurd. Und doch konnte sie nichts dagegen tun. Für einen vernunftbetonten Menschen wie sie stellte dies die größte Schmach dar. Und dann hatte ihr Vater ihr vor zwei Tagen eröffnet, dass sie die Stelle ihrer verstorbenen Schwester als Lord Granvilles Gemahlin einnehmen sollte. Kurz war um sie herum alles aus dem Lot geraten. Vor ihr lag nun die köstliche Aussicht, dass die Sehnsucht ihres Herzens Erfüllung finden würde – Liebe und Lust mit dem Mann, dessen Gegenwart allein genügte, ihr Herz höher schlagen zu lassen.
Der Marquis hatte neben ihrem Vater gestanden.
Er hatte ihr zugenickt, ohne ein Wort mit ihr zu sprechen. Kein einziges Wort. Nach der Eröffnung ihres Vaters hatte er sich auf ein knappes Nicken beschränkt. Es folgte eine kurze Aufzählung, ihre Mitgift und den Ehevertrag betreffend. Cato hatte teilnahmslos gelauscht. Es war ihm anzusehen, dass er das alles schon einmal gehört hatte. Tatsächlich hatte Phoebe den Eindruck gehabt, dass es ihn entweder langweilte oder dass er unter Zeitdruck stand. Aber Zeit hatte er ja nie. Wenn er nicht irgendeine Festung der Königstreuen im Themsetal belagerte, traf er sich mit Cromwell und den anderen Generälen der neuen Armee und widmete sich in ihrem Hauptquartier bei Oxford strategischen Planungen.
Phoebe und Olivia, die ihn kaum zu Gesicht bekamen, lebten ihr eigenes Leben auf dem komfortablen Herrensitz Woodstock, den Cato unweit Oxford erworben hatte, als das Kriegsgeschehen sich von Nordengland in den Süden und Westen verlagerte und er seine Familie nicht schutzlos in Yorkshire zurücklassen wollte. Phoebe hatte den Eindruck, dass Dianas Tod sein Leben nur geringfügig oder gar nicht verändert hatte.
Für Phoebe und Olivia freilich war alles anders geworden. Von Dianas Tyrannei befreit, konnten sie nun ungehindert ihren Interessen nachgehen. Bis vor zwei Tagen, oder besser gesagt bis kurz vor Weihnachten, korrigierte Phoebe sich, hatte nichts ihre Ruhe gestört.
Und jetzt war sie dazu verurteilt, einen Mann zu heiraten, der auch jede andere genommen hätte, die ihm eine stattliche Mitgift einbrachte und von vornehmer Herkunft war. Nicht einmal Dantes Inferno sah eine so teuflische Qual vor. Sie würde ihr ganzes Leben mit einem Mann verbringen müssen, den sie bis zur Raserei liebte und begehrte und der ihre Existenz kaum zur Kenntnis nahm.
Und was das Schlimmste war – sie konnte sich niemandem anvertrauen. Es Olivia erklären zu wollen war ausgeschlossen. Es gab dafür keine Worte, oder zumindest wollten sie Phoebe nicht einfallen.
Portia hätte sie verstanden, Portia aber lebte in Yorkshire mit Rufus Decatur in einer geradezu überschwänglich glücklichen Ehe. Wäre Cato Granville nicht um drei Uhr morgens noch wach und auf den Beinen gewesen, so hätte Phoebe sich bereits auf dem Weg nach Yorkshire befunden.
Mit einem Laut, der einem tiefen Seufzer sehr nahe kam, drehte Phoebe sich auf die Seite und schloss die Augen.
Zu ebener Erde blies Cato bis auf eine alle Kerzen in seinem Arbeitszimmer aus und bückte sich, um ein verrutschtes Scheit im Kamin nach hinten auf den Rost zu schieben. Sich aufrichtend stand er in Gedanken verloren da und starrte ins Feuer. Die volle Bedeutung von Phoebes wahnwitzigem Plan kam ihm erst jetzt so richtig zu Bewusstsein. Welche Frau würde sich in die eiskalte Nacht ohne auch nur einen Gedanken an die Gefahren hinauswagen? Und wohin hatte sie gehen wollen?
Und was für ein Grund! Eine junge Frau von Phoebes Vermögen und Herkunft, die nicht heiraten wollte … die sich gegen eine Ehe mit einem Marquis sträubte! Das Mädchen hatte tolle Flausen im Kopf.
Er hätte vielleicht noch Verständnis aufgebracht, wenn ihr Vater sie zu einer Ehe mit einem Monstrum gezwungen und ihr einen abstoßenden Tattergreis als Ehemann zugemutet hätte.
Phoebe konnte
ihn
doch nicht in diesem Licht sehen?
Er hob den Kopf. Natürlich war das absurd. Mit fünfunddreißig stand er in der
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