Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
alles meine Schuld. Wir hätten die Aktion abbrechen sollen, als der erste Stein danebenging.«
»Welcher erste Stein?«
»Die Beschaffung der Stecklinge … verlief nicht ganz nach Plan«, gebe ich stockend zu.
»Und wieso sagst du mir das erst jetzt?« Silas rückt näher zu mir.
»Wir dachten, wir wären noch mal davongekommen.«
»Verdammt, Alina! Entweder machen wir’s strikt nach Plan oder wir brechen ab, das weißt du doch!«, schnauzt er mich auch so an. Was gar nicht nötig wäre, denn ich fühle mich auch so schon schlecht genug. »Okay, lass uns nachdenken.«
»Wir müssen zu Petra«, sage ich.
»Geht nicht. Wenn wir die Kuppel so kurz nach unserem letzten Ausflug schon wieder verlassen, werden sie aufmerksam.«
»Aber wir kriegen das alleine nicht hin. Das Risiko ist einfach zu groß. Wir brauchen Hilfe, Silas.«
»Komm, entspann dich. Abel geht’s sicher gut. Lass uns ein paar Tage in Deckung gehen und sehen, wie sich die Lage entwickelt. Okay?«
»Silas …«, beginne ich.
»Okay?«, wiederholt er, etwas eindringlicher diesmal.
»Okay«, sage ich, bin aber nicht wirklich überzeugt. Wir schützen uns, na gut, aber was ist mit Abel? Der Widerstand ist eine Familie, und wenn es ein Mitglied erwischt, trifft uns das alle. Aber selbst wenn Silas falschliegt und es Abel nicht gut geht, was könnte ich für ihn tun? Ich weiß ja nicht mal, wo er ist.
Silas nickt in Richtung Balkon und wir gehen wieder raus. Ich starre auf die Glaswand der Kuppel. Silas bückt sich, reibt an einem Lavendelblatt und riecht an seinen Fingern. »Wahnsinn! Riech mal, wie intensiv.« Er hält mir seine Hand unter die Nase und ich atme tief ein,schon um auf andere Gedanken zu kommen, um die Bilder von Abel aus meinem Kopf zu kriegen.
»Was, wenn die Nachbarn die Pflanzkisten sehen?«, frage ich.
»Sie werden denken, es sind künstliche, genau wie ihre eigenen.«
Wahrscheinlich hat er recht: Viele unserer Nachbarn haben Plastikpflanzen auf ihren Balkons. Wieso sollten sie annehmen, dass es bei uns anders ist?
»Lass nur niemanden sehen, wie du sie gießt«, mahne ich.
»Wieso? Der alte Watson wässert seine Pflanzen doch auch. Als ich ihn fragte, warum, meinte er, es erinnert ihn an früher – daran, wie die Dinge mal waren. Armer Kerl. Er konnte vor lauter Rührung kaum sprechen.«
Silas steht auf und klopft sich ein paar Krümel Erde von der Hose, als plötzlich der Blitz einer Geschwindigkeitskamera die Straße ausleuchtet. Irgendjemand muss erwischt worden sein.
Ich schaue runter. Eine Straßenbahn rumpelt die Schienen entlang und Fußgänger schlurfen über den Bürgersteig. In der Kuppel ist es verboten, ohne Sauerstofftank zu laufen. Es ist verboten, schneller als drei Stundenmeilen zu gehen. Die Geschwindigkeitskameras messen das Tempo der Fußgänger, genau wie die Aufseher. Deshalb trainieren Silas und ich auch nachts, unter Brücken und in engen Gassen, wo uns niemand sehen und den zusätzlichen, nicht genehmigten Sauerstoffverbrauch melden kann. Nicht, dass es uns um den heimlichen Extrakonsum ginge. Im Gegenteil: Wir wollenja gerade, dass die Sauerstoffeinspeisung gedrosselt wird.
Ein paarmal wurde es trotzdem eng. Da hat uns ein Aufseher erwischt, und wir mussten wirklich rennen, mit Sturmmützen überm Gesicht, um auf den Radarbildern der Kameras nicht erkennbar zu sein.
Als wir den Balkon gerade verlassen wollen, geht in der Wohnung das Licht an. Onkel Gideon und Tante Harriet sind zurück und ziehen sich im Flur die Schuhe aus. Sie umarmen uns und lassen sich aufs Sofa fallen, erschöpft von einem zwölfstündigen Arbeitstag in der Landwirtschaftseinheit der Biosphäre. Ein guter Job, verglichen mit vielen anderen: Sie atmen richtige Luft und schaffen es gelegentlich, Früchte oder Gemüse rauszuschmuggeln, sodass wir echtes, im Boden gewachsenes Essen probieren können. Das können sich sonst nur Premiums leisten; wir Seconds müssen uns von synthetischem, mit Vitaminen angereichertem Brot und Joghurt aus künstlichen Früchten ernähren.
Harriets und Gideons Arbeitsanzüge haben heute eindeutige rote Flecken.
»Beerenernte?«, frage ich.
»Unser Nachtisch.« Vorsichtig zieht Gideon ein behelfsmäßiges Papiertütchen mit reifen Himbeeren aus seiner Hosentasche.
Silas verzieht genervt das Gesicht und wippt ungeduldig mit den Füßen.
»Und das hier ist für dich.« Meine Tante nestelt ein Himbeerpflänzchen mit drei Beeren aus ihrer Tasche. »Sind das genug Samen, kannst du damit etwas
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