Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
Tür. Das muss das Elternschlafzimmer gewesen sein. DasDach hier ist intakt, ebenso wie die meisten Möbel. Ich lege das Messer auf eine Kommode und öffne eine der Schubladen. Jede Menge Kleidung – dicke Pullover und Wollsocken. Ich suche mir ein paar Sachen zusammen, ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus, die zwar klamm ist, aber noch tragbar, und steige in die trockenen Klamotten.
Jetzt fehlt nur noch eine regendichte Jacke. Ich gehe zum Schrank, der gefüllt ist mit schicken Kleidern, feinen Anzügen, spitz zulaufenden Schuhen, Gürteln und Hüten. Das Ehebett ist nicht gemacht, als wäre das Paar, das hier einst geschlafen hat, gerade aufgesprungen und zur Arbeit gehetzt, und kurz frage ich mich, wann sie wiederkommen und ob sie sich wohl aufregen, wenn sie mich in ihren Klamotten erwischen. Macht natürlich keinen Sinn: Selbst wenn sie den Switch überlebt hätten, wären sie jetzt mindestens so alt wie meine Großeltern und lebten in der Kuppel.
Ich finde keine regendichte Jacke, dafür aber eine schwarze Mütze und einen dicken Dufflecoat. Beides nehme ich mit, schnappe mir mein Messer und tappe weiter den Flur entlang. Aus dem Badezimmer stinkt es entsetzlich, sogar durch die Atemmaske hindurch, als sei die Toilette hundertmal ohne zu spülen benutzt worden.
Da ich habe, was ich brauche, könnte ich eigentlich abhauen, aber aus Neugier spähe ich noch schnell durch die letzte Tür, die halb offen steht.
Der Raum ist dunkel, die Vorhänge sind zugezogen. Als ich eintrete, fällt die Tür hinter mir zu. Ich warte,bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, die Hand für alle Fälle ums Messer geklammert. Ein dumpfes Gurgeln ist zu hören, wie wenn Wasser ein Rohr runterfließt. Hier muss das Dach ebenfalls leck sein. In einer Ecke erblicke ich einen Kleiderhaufen und über den Fußboden verstreut ein paar Schachteln und Tellerstapel, das ist alles.
Ich will gerade rausgehen, als der Kleiderhaufen plötzlich auf mich zugewankt kommt. Entsetzt schnappe ich nach Luft. Es ist eine alte Frau mit langem, verfilztem Haar. Eine Ausgestoßene. Sie bewegt sich nicht schnell, das kann sie nicht, weil sie eine große Kiste hinter sich herschleppt, vermutlich ein Solar-Atemgerät.
»Noch einen Schritt, dann …« Drohend fuchtele ich mit meinem Messer herum, während ich gleichzeitig herumschnelle, um abzuhauen. Doch ich sehe fast nichts in dem Schummerlicht und stolpere.
»Brauchst doch vor ’ner verhutzelten Alten wie mir nich weglaufen, Süße«, krächzt die Frau und schlurft unverwandt weiter auf mich zu. »Will nur mal dein Gesicht anfassen. Bisschen näher an dich rankommen.«
Puh, ich kann sie riechen – süßer Dreck, wie Urin mit Zucker. Wie viele Jahre haust sie wohl schon hier? Gut möglich, dass sie hundert ist. So sieht sie jedenfalls aus. So, als wäre sie schon verwest, aber noch nicht tot. Mein Magen dreht sich um.
»Bleib mir vom Hals!«, kreische ich, strecke das Messer vor und weiche zurück in eine Ecke des Raumes. Die Frau hält inne und wirft dann mit einer überraschend schwungvollen Bewegung die Decken von sich. Darunterträgt sie ein dünnes Nachthemd, unter dem sich ihr knochiger, vertrockneter Körper abzeichnet.
Oh Gott, ich will nicht, dass sie mich anfasst. Ich drücke mich gegen die Wand und hoffe, dass diese mich verschluckt.
»Brauchst keine Angst ham!«, kräht die Alte und schiebt sich über den modrigen Teppich. »Maude Blue will dich nur mal anglotzen.«
»Wer ist Maude?«, bringe ich heraus.
»Wer ist Maude? Kennt man mich etwa nich? Dachte, mein Ruf eilt mir voraus.« Sie hustet, würgt etwas hervor und spuckt es auf den Teppich. »Böse, böse Maude Blue«, raspelt sie.
Wahrscheinlich ist sie aus der Irrenanstalt der Kuppel ausgebrochen und plündert die Küchen verlassener Häuser, um sich durchzubringen.
»Lass mich raus. Ich werde niemandem erzählen, dass ich dir begegnet bin.«
»Weiß ich«, hüstelt sie.
Ich habe so einen Atemapparat, wie sie ihn hinter sich herzieht, noch nie gesehen, nur davon gehört. Sieht aus wie ein kleiner Kühlschrank.
»Also dann, ich gehe jetzt«, sage ich und taste nach dem Türgriff. Aber da ist nur feuchte Tapete.
»Hey, lass mich nich allein«, winselt die Alte und kommt mir so nahe, dass ich den Dreck zwischen ihren verfaulten Zahnstummeln sehen kann. Als sie mich am Arm berührt, schreie ich und schwinge mein Messer.
»Ah, bist ’ne Wilde, alles klar«, pfeift sie. Und dann lacht sie, bevor sie wieder
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