0660 - Die Totenstadt
Auch wenn die Sonne am höchsten stand, schaffte sie es nicht, ihr blendendes Licht auf die Stadt zu schicken und sie zu erleuchten. Zu dicht war die Wolke aus Rauch und Staub, die über dem Gelände lagerte. Selbst der Wind kämpfte vergebens dagegen an.
Es war eine Stätte des Todes, der Leichen, des Moders und der verwesenden Körper. Graue Bauten, viele verfallen, nur noch aus Trümmern bestehend, lebensfeindlich, unbewohnbar für einen normalen Menschen und dennoch von einem Leben erfüllt, das diesen Namen im Prinzip nicht verdiente.
Es waren Ausgeburten des Grauens, Abschaum der Hölle, Mutationen, wie sie schrecklicher nicht sein konnten. Leben, das sich auf zwei Beinen bewegte und trotzdem keines war.
Diese Welt war leer, öde, tot…
Es gab nichts Grünes. Da wuchs kein Baum, kein Strauch, nicht ein Grashalm, die Öde war furchtbar und die Leichen stanken buchstäblich zum Himmel.
Und doch gab es Bewegungen in dieser Öde. Nicht immer und sofort erkennbar, mehr heimlich und schattengleich. In Bodenhöhe huschten sie durch den Staub, immer bereit, eine neue Nahrung zu finden, um auch den nächsten Tag überleben zu können.
Ratten!
Keine normalen Tiere, wie sie in der Nähe von Menschen oder in Abwasserkanälen vorkamen. Diese hier waren anders, grauer, widerlicher und fetter. Dies allerdings nicht im Sinne von wohl genährt. Die Körper dieser Ratten wirkten wie aufgepumpt und waren an manchen Stellen sogar aufgeplatzt, wobei aus den Löchern die dicken, geschwürähnlichen Massen hervorquollen und sich auf dem Fell verteilt hatten.
Wie immer waren sie die Herren. Wenn alles vernichtet war, lebten sie noch weiter.
Es stimmte nicht ganz, denn auch die Ratten hatten in dieser Welt Feinde.
Einer von ihnen lauerte hinter einem großen, kantigen Trümmerstück. Eine hoch gewachsene Gestalt, bleigrau wie der Staub, versehen mit einem Gesicht, in dem sich kein Leben regte, und das aussah, als wäre Teig mit Asche gepudert worden.
Eine Abart des Menschen, eine Vision des Schreckens und einfach furchtbar.
Die Gestalt wirkte platt, flach. In den Höhlen lagen Augen ohne Ausdruck. Sie sahen aus wie die Oberfläche schmutziger Teiche. Aus dem rechten Auge war eine gelbliche Flüssigkeit hervorgedrungen und auf dem Weg zum rissigen Mund auf der Wange eingetrocknet. Die Haare wirkten wie verschmutztes Garn. Schuhe trug die Gestalt nicht. Am linken Fuß fehlten zwei Zehen. Sie waren nur noch als Stümpfe vorhanden.
Die Ratte ahnte nichts. Sie hatte sich aus einem Spalt hervorgedrückt. Der Hunger war einfach zu groß geworden. Jetzt suchte sie einen Artgenossen, der stärker war als sie.
Von der Gestalt sah sie nichts. Sie stand da und wartete ab. Die Ratte würde in seine Nähe kommen, das stand fest. Auch sie sah anders aus. Der Kopf hatte eine im Verhältnis zum Körper ungewöhnliche Größe. Die Schnauze stand schief, die Beine waren von unterschiedlicher Länge, aus diesem Grunde lief sie schaukelnd.
Sie näherte sich dem Versteck innerhalb kurzer Zeit und durch die Gestalt ging ein Ruck. Sie bewegte noch den Kopf, dann stürzte sie plötzlich vor.
Es war kein Laufen, sie ließ sich kurzerhand fallen und fiel der Rattenmutation entgegen.
Ein Schlag mit der flachen Hand, dann hielt die Gestalt die Ratte fest. Sie zappelte noch, aber die Gestalt kannte kein Pardon. Und auch die andere Hand schlug gegen den Körper, bekam sie am hinteren Ende zu fassen, drehte sie jetzt zwischen den Händen und riss sie mit einem heftigen Ruck auseinander.
Das Blut spritzte nach allen Seiten. Durch den heftigen Ruck spannten sich die Arme der Gestalt, einige Tropfen hatten ihr Gesicht erwischt und blieben dort wie Farbtupfer kleben. Aus dem Maul tanzte die Zunge und wischte sie weg. Der Mund aber blieb offen, damit er die eine Hälfte der Ratte aufnehmen konnte. In der linken Hand hielt die Gestalt die zweite Hälfte, bevor sie sich umdrehte und schmatzend kaute.
Danach fraß sie die zweite Hälfte der Ratte. Erst als auch diese verschluckt war, drehte sich die Gestalt mit dem tumben Gesichtsausdruck um. Eine Hand näherte sich den Lippen und wischte mit einer fahrig anmutenden Bewegung die dort noch klebenden Reste weg.
Erst dann war die Gestalt zufrieden. Sie ging schwankend zurück, bis sie den Felsen erreicht hatte, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und war zufrieden.
Sehr gemächlich hob sie den Kopf und schaute gegen den über dem Gelände stehenden Dunst. Darin malten sich die Umrisse zweier hoher Bauten
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