Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
mir jetzt ausmalen sollte, wäre er wohl genauso wie das hier: eine enge, einsame Finsternis.
Ich hoffe, dass Bea ihnen entkommen ist. Immerhin hab ich sie wegrennen sehen, zusammen mit Alina und Maude. Und hoffentlich ist Alina ihnen ebenfalls entwischt. Ich versuche, Bea zu rufen, aber meine Stimme dringt nicht durch den Staub hindurch. Stattdessen muss ich husten. Aber wenn ich huste, dann muss ich doch wohl am Leben sein, oder?
BEA
Ich will Quinn nicht lieben. Warum kann ich nicht in jemanden verliebt sein, der mich zurückliebt? Warum kann mein Leben nicht entspannt und glücklich sein? Ich will nicht, dass ich mich rund um die Uhr nach Quinn sehne! Und jetzt, wo er verschwunden ist, ist dieser Rund-um-die-Uhr-Schmerz, der mir auf die Brust drückt, sogar noch stärker geworden. So stark, dass mein ganzer Körper wehtut. Als wäre er vergiftet.
Ich liebe Quinn nicht so, wie sich meine Eltern lieben: auf eine süße, aber sehr ruhige, unaufgeregte Art und Weise. Ich liebe ihn so, dass ich jede einzelne Nervenfaser in mir spüre, wenn wir zusammen sind. Wenn er mich zum Beispiel berührt, wenn er aus Versehen meinen Arm streift, dann fühle ich den Schmerz überall: im Nacken, im Bauch, zwischen den Beinen. So sehr, dass ich zusammenzucke und mir auf die Lippen beißen muss, um nicht zu schreien.
Aber das alles wird er nie erfahren, denn ich bin zu feige, um es ihm zu verraten. Ich hab Angst vor seinem Gesichtsausdruck, wenn er mir möglichst schonend versuchtbeizubringen, dass er meine Liebe nicht erwidert. Da laufe ich lieber tagtäglich neben ihm her in der Hoffnung, dass er mich eines Tages vielleicht doch noch entdeckt. Das ist mir tausendmal lieber, als mir eine Abfuhr zu holen.
Verzweifelt versuche ich, den Gedanken zu verdrängen, dass er vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, stirbt.
Und verzweifelt versuche ich auszublenden, dass er, falls er gerade stirbt, an Alina denkt – während ich an ihn denke.
QUINN
Wie lange bin ich wohl schon verschüttet? Es ist schwierig, sein Zeitgefühl zu behalten, wenn man kein Raumgefühl hat und einen völlige Dunkelheit umhüllt. Puh, jetzt hat der Schmerz erst so richtig begonnen: ein dumpfer Schmerz im Rücken und in den Beinen.
Ich huste, seit ich hier liege, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Panzer schon vor längerer Zeit habe wegrumpeln hören. Falls Bea, Alina und Maude mich suchen würden, hätten sie mich doch längst gefunden, oder? Sie hätten mein Husten hören müssen. Aber vielleicht haben sie davon nichts mitgekriegt, weil ich von Zehntausenden von Ziegelsteinen und Zementplatten bedeckt bin. Könnte doch sein, so dunkel, wie es hier ist.
Gut möglich, dass ich unter diesem Schutthaufen einfach verrotte. Dass man von mir, falls die Trümmer je irgendwann abgetragen werden, nur noch einen Haufen Knochen findet. Ich probiere zu schreien.
»Bea!« Es klingt wie staubiges Geflüster. »Bea!«, versuche ich es noch mal, aber meine Stimme ist genausozerschreddert wie der Rest meines Körpers. Ich huste wieder und diesmal ist das Husten richtig laut, denn meine Lungen versuchen offenbar, den Staub loszuwerden. Ich huste und huste und schon bald wird das Husten zu einem panischen Keuchen. Ich werde hier drin sterben. Meine Sauerstoffflasche wird vor mir schlappmachen, und wahrscheinlich ist das gut so, auf jeden Fall besser, als ganz langsam zu verhungern oder zu verdursten. »Bea!«, rufe ich. »Bea!« Sie muss sich versteckt haben, als der Beschuss losging. Und jetzt hockt sie entweder ebenso fest wie ich oder sucht nach mir. Oder sie ist tot. Aber abhauen, ohne nach mir zu suchen, das würde sie ja wohl kaum. Oder?
»Bea?« Ich keuche und huste. »Bea?«
BEA
Ich muss mir immer wieder sagen, dass die vielen Stimmen, die ich höre, nur die Echos unserer eigenen Stimmen sind, die aus den Tunnelschächten widerhallen. Dass das Gemurmel um uns herum von uns selber stammt. Und als ich Quinns Hilfeschreie höre, muss ich mir in Erinnerung rufen, dass wir dreißig Meter unter der Erde sind und dass ich ihn, selbst wenn er rufen würde, nicht hören könnte. Und trotzdem will mir der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Quinn in Not ist. Was, wenn er mich wirklich ruft? Was, wenn er gerade stirbt?
Ich merke, dass Alina beobachtet, wie ich mir die Augen trockne und meine Nase am Ärmel abwische. Von Zeit zu Zeit fragt sie mich, wie es mir geht. Ab und zu streicht sie mir auch über den Rücken oder drückt meinen Arm.
»Ihm geht’s gut,
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