Breathe - Gefangen unter Glas: Roman (German Edition)
den Mund.
»Na los, nimm meine Flasche«, flüstert sie.
»Maude, ich …«
»Tja, ich würd zwar gern noch ’n paar Jahre durchs Leben zockeln, aber ich weiß genau, worüber ihr beiden grad getuschelt habt. Ich weiß, dass die Luft nich für uns alle drei reicht, jedenfalls nich, um lebend hier rauskommen und dann auch noch deinen Freund zu suchen.«
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also sage ich, was mir als Erstes durch den Kopf schießt. »Er ist nicht mein Freund.«
Aber Maude blinzelt nur und stopft sich die andere Riegelhälfte in den Mund.
»Letzte Mahlzeit. Henkersmahl. Gläschen Sekt dazu wär nett. Und ’n Teller voll Schokotrüffel. Aber na ja, das Proteinding hier tut’s auch.« Mit diesen Worten schnallt sie ihre Sauerstoffflasche ab. »Geh und such ihn. Wenn du ihn so sehr magst, ist er bestimmt ein netter Kerl.« Dann nimmt sie ihre Atemmaske ab und reicht sie mir.
Ich bin überwältigt. Ich bin unendlich überwältigt und zugleich am Boden zerstört von Maudes Güte. Aberich habe nicht das Recht, ihr Leben einzutauschen gegen das Leben eines anderen Menschen, auch wenn ich diesen anderen Menschen liebe.
Also drücke ich ihr die Maske zurück aufs Gesicht und schließe sie, ohne weiter darüber nachzudenken, in die Arme.
»Hey, lass mich los«, nuschelt sie.
»Sag mal, bist du völlig übergeschnappt?« Alina kommt angerannt, um mich von Maude wegzuziehen, die sich, ungeachtet ihrer Worte eben, genauso fest an mich klammert, wie ich mich an sie klammere. »Wer weiß, was bei der alles für Getier unter der Haut lebt? Was soll der Quatsch?«, brüllt Alina.
Angewidert blickt sie Maude an. Und dann, ganz langsam, verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Am Ende sieht sie nicht mehr hasserfüllt aus, sondern nur noch traurig. Und als ich Maude endlich loslasse, sehe ich auch, warum: Maude weint herzerweichend. In dem schwachen Lichtschein sieht sie so untröstlich, so verletzlich und so menschlich aus, wie sie mir ihre Sauerstoffflasche immer noch selbstlos hinhält, dass man ein absoluter Unmensch sein müsste, um kein Mitleid mit ihr zu haben.
QUINN
Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand nach mir sucht. Und wenn sie gesucht haben, dann haben sie es mittlerweile aufgegeben. Es macht nicht den geringsten Sinn weiterzurufen, also lasse ich es bleiben. Ich versuche auch nicht mehr, mich hier rauszugraben. Das verbraucht nur noch mehr Luft.
Ich habe niemals richtig intensiv über das Leben nachgedacht, und irgendwie ist es schon traurig, dass das erste Mal, wo ich es tue, vermutlich auch das letzte Mal sein wird. Höchst unwahrscheinlich, dass ich noch länger als einen Tag lebe. All das Bedauern und die Dankbarkeit, die in meinem Kopf herumwirbeln, werden nutzlos verpuffen. Ich werde nichts mehr damit anfangen können.
Die ganze Zeit muss ich an meine Brüder denken, an Lennon und Keane. Die haben mich zwar oft genug auf die Palme gebracht, aber trotzdem hab ich sie schrecklich lieb. Meine Eltern liebe ich auch. Ich mag gar nicht daran denken, wie sehr ich sie alle liebe. Und daran, dass ich sie nicht mehr wiedersehen werde und ihnennicht mehr sagen kann, dass ich sie liebe. Wäre ich doch netter zu ihnen gewesen! Hätte ich doch wenigstens ab und zu mal richtig mit meiner Familie geredet!
Und dann Bea. Ich weiß gar nicht, warum sie mich nicht schon vor Jahren abserviert hat. So oft, wie ich sie hab sitzen lassen, nur weil mir auf einmal ein Date mit irgendeinem Mädchen spannender erschien, das ich gerade mal ’ne Stunde kannte. Und später dann, wenn ich mich beim Quatschen mit dem Mädchen ebenso gelangweilt hatte wie beim Knutschen, bin ich zu Bea gerannt, um ihr mein Leid zu klagen. Mein Leid? Während Bea damit leben muss, dass ihre Eltern ihr nie genügend Sauerstoff kaufen und es sich einfach nicht leisten können, sie mal mit jemandem ausgehen zu lassen? Sollte ich wie durch ein Wunder doch noch lebend hier rauskommen, dann werde ich mich als Allererstes bei Bea entschuldigen. Ich sehe ihr Gesicht vor mir, wie sie mir verzeiht. Ihre Augen, die die Tränen wegblinzeln, während sie auf mich zukommt und mich umarmt.
BEA
Maude, Alina und ich sitzen auf dem dreckigen Bahnsteig und lassen unsere Beine über den Gleisen baumeln. Ich reiße noch einen Proteinriegel auf und teile ihn mir mit Alina.
»Wenn ich dir meine Sauerstoffflasche gebe, würdest du dann zurückgehen und nach Quinn suchen?«, frage ich Alina.
»Du weißt, dass ich das nicht tun würde«, sagt sie, und
Weitere Kostenlose Bücher