Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
Angriff gegen die Freie Syrische Armee (FSA) in den letzten drei Monaten und der fünfte Angriff gegen die syrische Bevölkerung in den letzten eineinhalb Jahren. Dem Regime geht es darum, den Kampf endgültig zu entscheiden, es weiß, dass es um sein Überleben geht und dass es sich mit allen Mitteln verteidigen muss.
Bedeutet dies auch, dass es keinen Raum mehr für eine zivile, nichtmilitärische Opposition gibt?
Die Opposition war zunächst lange Zeit unbewaffnet, doch dann ist das Regime mit einer solchen Brutalität vorgegangen, dass die Menschen sich verteidigen mussten. Dennoch gibt es bis heute hunderte von Orten, an denen jede Woche friedliche Demonstrationen stattfinden. Mitte August gab es in Daraya eine Demonstration von ungefähr 50 000 Menschen und das, obwohl die Stadt zwei Tage zuvor angegriffen und besetzt worden war und obwohl hunderte von Menschen festgenommen wurden und verschwunden sind. Der Widerstand ist also nicht nur militärisch, und der Träger der militärischen Aktionen ist im Grunde die Zivilbevölkerung.
Sie haben mehrfach für Verhandlungen zwischen der Opposition und Teilen des Regimes plädiert. Halten Sie das noch für eine reale Option?
Ich glaube, dass es nach dem jetzigen Kampf einen Teil des Regimes geben wird, der bereit ist, über eine demokratische Zukunft des Landes zu verhandeln und eine friedliche Lösung zu suchen, zumal wir ja als Opposition die ganze Zeit sagen, dass wir künftig keine politische Richtung ausschließen möchten. Das bedeutet, dass auch die Mitglieder der Baathpartei ihren Platz haben werden und in einem demokratischen System für ihr Programm eintreten können. Wir wollen nicht, dass es so wird wie im Irak, wo die Baathisten keine politische Rolle mehr spielen durften. Wenn sie sich daran beteiligen, eine friedliche und demokratische Lösung für Syrien zu finden, dann werden sie dafür sicherlich belohnt werden.
Und diese verkündete vom ersten Tag der Aufstände im März 2011 an: Diese Demonstranten seien sunnitische Terroristen, intolerant, fanatisch, daher für alle Nichtsunniten lebensgefährlich. Ihr Fanatismus ließe keinen anderen Glauben zu als den ihren, Christen und andere religiöse Minderheiten müssten um ihre Existenz fürchten. Diese Propagandamaschine war reflexartig bei den ersten Demonstrationen in Deraa angesprungen und lief sofort hochtourig, selbst als die Demonstranten wie anfangs nur friedlich Reformen forderten. Weiter sagt die Propaganda: »Seht doch, was im Irak mit euren christlichen Brüdern und Schwestern passiert ist. Sie wurden terrorisiert, vertrieben oder ermordet.« Ein solcher Verweis auf den Nachbarn Irak beeindruckt viele Christen in Syrien. Dort hatte es nach dem Einmarsch der Amerikaner Anschlagserien gegen Kirchen und Klöster gegeben. Das Ende der Diktatur Saddam Husseins hatte das Leben der irakischen Christen nicht verbessert, sondern im Gegenteil dramatisch verschlimmert. Die Täter: zumeist Al-Qaida-nahe sunnitische Terroristen. Die Folge: ein Massenexodus der irakischen Christen.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle Russlands? Könnte Moskau eine Vermittlerrolle übernehmen?
Wir vom Syrischen Demokratischen Forum haben diesen Vorschlag gemacht, als wir Anfang Juli in Moskau waren. Wir haben damals gesagt, dass Russland als Gegengewicht zum fundamentalistischen Islam mit uns zusammenarbeiten sollte, damit wir unter der Aufsicht Russlands eine Alternative, bestehend aus der Opposition und Teilen der jetzigen Regierung, aufbauen können. Wir haben der russischen Regierung auch zugesagt, dass wir ihre strategischen Interessen akzeptieren und respektieren werden. Wir wollen, dass Russland uns hilft, unsere Unabhängigkeit zu bewahren.
Ich finde, dass Russland im Augenblick eine Politik betreibt, die von A bis Z falsch ist. Das habe ich Außenminister Lawrow auch gesagt. Vielleicht glaubt Russland, dass das syrische Regime siegen wird. Ich begreife nicht, warum sie nicht versuchen zu verstehen, was in Syrien geschieht. Warum sie die Revolution in Ägypten akzeptiert haben, warum sie dort mit den anderen Mächten an einer Lösung gearbeitet haben. Und in Syrien, wo es eine wirkliche Volksbewegung gibt, ist es ganz anders.
Die Freundschaft mit Russland ist Teil unseres patriotischen Erbes, die syrische Bevölkerung hat die US-amerikanische Politik immer abgelehnt. Jetzt ist es aber so, dass es nur eine Beziehung zwischen Moskau und dem Präsidentenpalast in Damaskus gibt. Demgegenüber haben die
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