Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
war spürbar stolz auf seine unbeugsamen Syrer.
»Und was erwartest du vom Westen? Mehr Sanktionen?«, hatte ich ihn damals gefragt.
»Nein, Sanktionen bringen nichts. Die treffen nur die Armen. Das Regime bekommt sowieso immer, was es will. Ich hoffe, dass der Westen die Freie Syrische Armee militärisch ausrüstet und eine Flugverbotszone einrichtet.«
Das war Ende 2011. Seine Hoffnung wurde nicht erfüllt: keine militärische Aufrüstung außer Schutzwesten und Funkgeräte, keine Flugverbotszone, keine sicheren Korridore für Flüchtlinge. Mehrere Millionen Entwurzelte suchen inzwischen im Land irgendwo Schutz. Bald anderthalb Millionen sind in die Nachbarländer Türkei, Jordanien und Libanon geflohen. Außer Sanktionen und Flüchtlingshilfen keine weitere Unterstützung. Diese Sanktionen haben » die schlimmsten Auswirkungen auf die unteren sozialen Klassen« (nach Omar S. Dahi in Inamo, Jahrgang 19, Sommer 2013), schreiben Wirtschaftswissenschaftler des in Paris erscheinenden ›Syria Report‹ .
In jenem Dezember 2011 meldeten die Berichterstatter 10 000 Tote, und die Welt gab sich erschrocken. Bis Juli 2013 hat die UNO über 100 000 Tote gezählt. Wirklich entsetzt ist aber kaum noch jemand, obwohl die Zahl der Opfer steigt und steigt. Auf beiden Seiten, der der Rebellen und der der Anhänger Assads. Und auf beiden sterben als erstes die Zivilisten. In Homs rückt die Assad-Armee vor, in Aleppo Djihadisten-Brigaden. Sie besetzen Stadtteile, die keine mehr sind, sondern Trümmerfelder. Geredet wird jedes Mal von militärischem Durchbruch. Tatsächlich hat sich im Sommer 2013 der Krieg festgefressen. Keine Seite scheint siegen zu können. Grund genug für einen Waffenstillstand. Eigentlich. Doch beide wissen genau, überlebt der Gegner, ist man selbst verloren. Der Hass sitzt zu tief, als dass Aussöhnung noch möglich zu sein scheint.
So weit war es im Dezember 2011 noch lange nicht, damals war es schwer, sich eine solche Entwicklung bis hin zur Unversöhnlichkeit vorzustellen. Damals glaubten viele, lange könne sich das Regime ohnehin nicht halten. Nach zwei Stunden daher als meine letzte Frage:
»Wie lange gibst du dem Regime noch?«
Seine Antwort – im Notizblock im Wortlaut mitgeschrieben:
»Es wird noch vier bis sechs Monate dauern. Länger nicht!«
So hatten damals, 2011 und auch noch lange 2012, die meisten gedacht und gehofft.
2 Reportagen aus einem zerrütteten Land
ALEPPO, Rebellenland, OSTERWOCHE 2013
Der Mann im Nachbarbett stöhnte bei jeder Bewegung, mehrmals schrie er kurz, manchmal war nur ein Wimmern zu hören. Er muss fürchterliche Schmerzen gehabt haben. Selbst atmen schien für ihn eine Folter zu sein, manchmal reichte seine Kraft nur noch zu einem langen und lauten Jammerlaut. Die Pfleger kamen immer wieder, um ihm ein Schmerzmittel zu injizieren. Das schien für einige Zeit zu helfen. Jedenfalls atmete er dann ruhiger. Vielleicht schlief er sogar. Wie lange weiß ich nicht, ich hatte selbst jedes Zeitgefühl verloren. Auch ich schlief immer wieder ein dank der Schmerz- und Schlafmittel, die mir die Pfleger über Kanülen in meinen Körper tropfen ließen. Vermutlich dämmerte ich ohnehin die meiste Zeit in dem kleinen karg eingerichteten Kriegslazarett in Aleppo in einem Zustand irgendwo zwischen Schlaf, Bewusstlosigkeit und Halbwachem, nachdem der Chirurg Dr. Amar meine zerschossene Arterie im Unterarm zusammengeflickt und die Kugel aus dem Magen herausoperiert hatte. Meinen zertrümmerten Arm noch verbinden, das war’s. Mehr hatte er in dem Notkrankenhaus nicht leisten können. Mein Leben hatte er durch die gekonnten Eingriffe gerettet. Ein kleines Wunder. Ich würde weiterleben. Wie schwer meine Verletzungen tatsächlich waren, konnte ich damals nur ahnen. Dass um mich herum Menschen starben, nahm ich auch nur schemenhaft wahr, teilnahmslos, fast apathisch, wie durch einen Nebelschleier, in den mich die Schmerzmittel gehüllt hatten.
Irgendwann – vielleicht am frühen Morgen des nächsten Tages – stöhnte der Mann im Nachbarbett nicht mehr, zu mir drang ein immer leiser werdendes Röcheln. Dann kam nur noch ein Wimmern. Dann kamen die Klageweiber. Angehörige schlugen weiße Leintücher um den Toten. Später erfuhr ich, er soll ein Handwerker gewesen sein, der sich auf Dachantennen spezialisiert hatte. Bei einer Montage am Vortag hatten Scharfschützen der anderen Seite ihn entdeckt und regelrecht abgeschossen.
Vielleicht eine Stunde nach dem Abtransport des Toten
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