Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)

Titel: Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Armbruster
Vom Netzwerk:
2013 innerhalb von nur einer Woche ihr Leben verloren haben? Was ist mit den mehr als 100 000 toten Syrern? Alles vergeblich?
    Für eine Endabrechnung ist es noch zu früh, also kann es höchstens eine Zwischenbilanz werden. Selbst das Ziel dieses versuchten Umbaus ist schwer zu beschreiben. Demokratie? Sicher, alle reden davon. Aber wie wird sie aussehen? Freiheit und Teilhabe, Respekt und Würde, Gerechtigkeit. Das sind Schlagworte, die man immer wieder als Antwort bekommt im Nahen Osten. Mit diesen Begriffen beschreibt auch der Koran die »beste aller Gemeinschaften«: Gott bestraft Hochmut, verlangt Achtung der Armen und verbietet Grausamkeit gegenüber den Schwachen. Abgerechnet wird allerdings erst am Tag des Jüngsten Gerichts und nicht schon jetzt im Diesseits, am Wahltag zum Beispiel. Alles auf gutem Weg? Bei weitem nicht.
    Die scheinbar ähnlichen Konzepte der islamistischen und nicht-islamistischen Politiker stecken voller Widersprüche. Gerechtigkeit wollen beide. Allein – Salafisten und Muslimbrüder verstehen etwas ganz anderes unter einer gerechten Gesellschaft als Säkulare. Für die einen sind Frauen den Männern untergeordnet, weil der Koran es so will, für die anderen müssen sie gleichgestellt sein, wie es die international anerkannten Menschenrechte vorsehen. Für die einen sind Christen, Juden und andere Religionen mit den Muslimen gleichwertig, für die anderen sind Christentum und Judentum nur geduldete Buchreligionen, die Gläubigen aller anderen Religionen schlicht Ketzer. Die säkularen Bewegungen setzten auf Demokratiemodelle, die den europäischen zumindest ähnlich wären. Für die Islamisten war Demokratie nur ein Mittel zum Zweck. Mit Hilfe ihrer überwältigenden Mehrheit im ägyptischen Verfassungsrat hatten sie eine in der Nähe der Scharia angesiedelte Verfassung durchgepeitscht. Sie sollte die Grundlage sein für den Umbau Ägyptens in einen islamistischen Staat. Wegen dieses »Verrats am Tahrirplatz« zogen sie den Zorn der nicht-islamistischen Kräfte in Ägypten auf sich. Für eine Religionsdiktatur waren die Demonstranten 2011 nicht auf den Tahrirplatz gegangen. Auch dagegen ging die Tamarod-Bewegung 2 013 Unterschriften sammeln, brachte allerdings mit ihrem Engagement Ägypten ungewollt in die Nähe eines neuen Militärstaates.
Die Muslimbrüder – ein tiefer Sturz
    Es lohnt sich, gerade diese Entwicklung näher zu betrachten. In fast allen arabischen Ländern sind die Islamisten die stärkste, weil am besten organisierte politische Kraft mit der größten Anhängerschaft. Dies dürfte auch für Syrien mit seiner sunnitschen Mehrheit gelten. Das Geburtsland der Muslimbrüder, Ägypten, ist gewissermaßen Paradebeispiel für ihren Sieg und ihre Niederlage.
    In Ägypten zeigte sich schnell, Islamisten können gute Regierungsführung nicht. Sie verstehen viel von Wohlfahrt, aber wenig von Wirtschaft. Sie waren es gewohnt, mit vollen Händen in den Armenvierteln Ägyptens Almosen zu verteilen, um so die Menschen an sich zu binden. Sie behandeln in eigenen Krankenhäusern die Armen billiger und besser als staatliche Krankenhäuser. Die Mittellosen in Ägypten (etwa vierzig Prozent der Ägypter leben am Rande oder unter dem Existenzminimum) konnten immer mit ihrer Hilfe rechnen, durften allerdings auch deren islamistische Ideologie zumindest nicht in Frage stellen.
    Als Regierung waren sie jedoch ganz anders gefordert. Sie mussten versuchen, die Wirtschaft zu sanieren: Arbeitsplätze schaffen, Investitionen ins Land holen und Ägypten für Touristen wieder attraktiv machen. Dem eigenen Haushalt hätten sie gerne ein Sparprogramm verordnet, um die Staatsverschuldung abzubauen. Angedacht hatte der Wirtschaftsminister der Mursi-Regierung den Abbau von Subventionen, besonders bei Benzin und Gas, außerdem Steuererhöhungen und eine Steuerreform. Ihre tatsächliche Wirtschaftspolitik war jedoch chaotisch. Sie pendelte irgendwo unentschlossen zwischen neoliberal und staatlichen Eingriffen und scheiterte letztendlich am Protest und Widerstand der Bevölkerung. Diese war nicht bereit, den Preis für die spürbare wirtschaftspolitische Inkompetenz der Muslimbrüder zu bezahlen und ging auf die Straßen. Die Regierung Mursi steckte von Anfang an in einem Teufelskreis. Tut sie nichts, bricht die Wirtschaft vollends zusammen, versuchen sie sie zu sanieren, würde das zunächst nur auf Kosten der Schwächsten der Gesellschaft gehen.
    Mursi und seine Brüder mussten fast zwangsläufig so die

Weitere Kostenlose Bücher