Brennpunkt Nahost: Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens (German Edition)
Menschenrechtsorganisationen Mursis Innenminister, seine Polizei foltere wieder und verhafte Demonstranten wie schon zu Mubaraks Zeiten. Ein junger Demonstrant soll im Januar 2013 sogar in einem Krankenhaus an den Folgen solcher Misshandlungen gestorben sein. Fotos des Opfers im Internet zeigen Spuren von Schlägen mit harten Gegenständen. Außerdem soll er mit Elektroschocks gequält worden sein. Mursi entlässt daraufhin seinen Innenminister. Die Menschenrechtsgruppen atmen auf. Doch nur, bis sie erfahren, wen Mursi zum Nachfolger bestimmt hat. Jetzt halten sie entsetzt die Luft an. Der Neue ist ein alter Bekannter, Mubaraks Polizeigeneral Mohamed Ibrahim, gefürchtet als wenig zimperlicher Offizier, der gegen Demonstranten, egal welcher Couleur, mit aller Härte vorgeht.
Die Vorwürfe der Menschenrechtsgruppen interessierten ihn nicht. Er ignorierte die schweren Beschuldigungen ganz einfach und leitete gegen die Polizisten noch nicht einmal eine Untersuchung ein. Auch das wie zu Mubaraks Zeiten. Bis Ende Juni war er den Muslimbrüdern zu Diensten, ließ Proteste niederknüppeln und Demonstranten verhaften. Dann kam der Staatsstreich der Generäle.
Nach dem Militärputsch vom 3. Juli 2013 begegnet er uns wieder, dieser Mohamed Ibrahim. Wieder als Innenminister und damit immer noch als Herr über den Polizeiapparat des Landes. Diesmal dient er anderen Herren, den Generälen, dem Interims-Ministerpräsidenten Hasem Al-Beblawi und seiner vom Militär eingesetzten Übergangsregierung. Mohamed Ibrahim – ein Konvertit und Wendehals, der seine neue Loyalität durch besondere Härte unter Beweis stellen sollte. Offensichtlich mit Erfolg. Er genießt das volle Vertrauen des neuen starken Mannes Ägyptens, dem von Präsident Mursi selbst ernannten Oberbefehlshaber der Streitkräfte Adel al-Fatah as-Sissi.
Hatte Mohamed Ibrahim als Mursis Innenminister seiner Polizei befohlen, Anti-Mursi-Demonstranten niederzuknüppeln und seinen Scharfschützen, die Protestierenden ins Visier zu nehmen, tat er das Gleiche nach seinem Seitenwechsel wieder. Diesmal sollten seine Polizisten und Scharfschützen allerdings auf Pro-Mursi Demonstranten zielen. Am 27. Juli 2013 waren sie besonders erfolgreich. Über siebzig Mursi-Anhänger starben an diesem Tag durch gezielte Kopfschüsse. Von einem regelrechten Kopfschussmassaker sprachen Beobachter. Bei der Räumung des Wehrdorfes der Brüder um die Rabaa al-Adamija-Moschee starben am 14. August wieder über 600 Ägypter. Allerdings war auch aus dem befestigten Lager geschossen worden. Einen Kompromiss, der Spannungen entschärft hätte, hatten die Brüder nicht gesucht. Auch mehrere Dutzend Polizisten kamen bei diesen Schusswechseln ums Leben. Fest steht aber, die meisten der über tausend Toten nach dem Putsch sind Muslimbrüder oder Sympathisanten, vom Innenminister und einer willigen Presse pauschal als Terroristen kriminalisiert. Man könnte daraus folgern: Mohamed Ibrahim hatte vor dem Putsch dem Chef einer terroristischen Vereinigung als Polizeiminister treu gedient. Damals unter dem Beifall der Muslimbrüder und ihrer Anhänger.
Heute jubeln ihm deren Gegner zu, die ohnehin zu glauben scheinen, alles geschehe zur Rettung von Revolution und Demokratie, das Töten, die Massenverhaftungen, die Folter in Gefängnissen und auf den Polizeistationen. Fast zwei Drittel der Ägypter finden das harte Vorgehen Mohamed Ibrahims gegen die Muslimbrüder richtig, stellte eine Umfrage fest. Ägypter klatschten ihm sogar Beifall, als der Innenminister verkündete, er werde einen nach dem Mubarak-Sturz aufgelösten Staatssicherheitsdienst wieder einrichten.
Unter Mubarak war diese politische Polizei geschaffen worden, um die immer stärker werdende Opposition, besonders aber die Muslimbüder zu überwachen. Jeder Ägypter hatte diese Geheimdienstler in den Straßen sofort erkannt an ihren Lederjacken und den übergroßen Sonnenbrillen. Sie standen an Straßenkreuzungen herum, in Parks, vor Caféhäusern, in Universitäten, überall da eben, wo sie Oppositionelle vermuteten. Und sie standen so unauffällig herum, dass sie nicht zu übersehen waren. Verhasst waren sie, weil sie jeden verhaften und auf Polizeireviere mitschleppen durften. Was einem dort blühte, wussten die Ägypter. Schließlich waren die Polizisten der ›Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus‹, wie sie hieß, für ihre Foltermethoden berüchtigt gewesen. Diese Folterpolizisten abzuschaffen war mit das Erste gewesen, was die
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