Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
tief liegende Torfschicht waren sie zum Teil erhalten geblieben – und hatten sich zwei Nächte zuvor wieder erhoben, um das Schloss anzugreifen! Diesen Krieg hatten sie gewonnen, die Tartaren und ihr junger englischer Anführer Harry Keogh – denn nach der Schlacht waren nur noch fünf der Verteidiger des Schlosses am Leben. Krakovic war einer davon. Fünf von dreiunddreißig, und das einzige Opfer unter den Angreifern war Harry Keogh selbst gewesen. Eine erstaunliche Bilanz, wenn man die Tartaren nicht mitzählte. Und die zählten ja wohl nicht, denn sie waren bereits vor Beginn des Kampfes tot gewesen.
Daran musste Krakovic denken, als er den Teil des Geländes betrat, der einst der gepflasterte Innenhof gewesen war. Nun befand sich dort eine weite, mit Kunststofffliesen ausgelegte Fläche, unterteilt in luftige Gewächshäuser, kleine Wohnungen und Laborräume. Hier hatten Angehörige des »Experimentellen Dezernats« unter vergleichsweise bequemen Bedingungen, die ihrer speziellen Arbeit entgegenkamen, ihre esoterischen Talente untersucht und geübt. Noch vor achtundvierzig Stunden war hier alles in Ordnung gewesen, doch nun wirkte es wie ein Schlachtfeld. Die Trennwände waren von Einschusslöchern durchsiebt, und Explosionen und Flammen hatten ihre Spuren hinterlassen. Es war ein Wunder, dass nicht alles bis auf die Grundmauern niedergebrannt war.
In einer weitgehend von Trümmern geräumten Zone – der sogenannten provisorischen Untersuchungszentrale – hatte man einen Tisch aufgestellt, auf dem das klingelnde Telefon stand. Krakovic ging darauf zu, blieb jedoch stehen, um ein großes Stück einer Stellwand zur Seite zu schleifen, das ihm den Weg versperrte. Darunter, vergraben unter Gipsbrocken, Glasscherben und den Überresten eines zerbrochenen Stuhls, lag ein abgerissener Arm mit der dazugehörigen Hand wie eine riesige grau gepuderte Schnecke. Das Fleisch war verschrumpelt, braun wie Leder verfärbt, und der herausstehende Schultergelenkknochen schimmerte blütenweiß. Der Arm war beinahe schon ein Fossil. Es würden noch viele solcher Fragmente auftauchen, über das gesamte Schloss verteilt, doch von ihrem ekelhaften Anblick einmal abgesehen, waren sie harmlos – im Moment. Nicht jedoch in jener Schreckensnacht. Krakovic hatte beobachtet, wie ebensolche Leichenteile, ohne einen Kopf oder ein lenkendes Gehirn, weitergekrochen waren, gekämpft, getötet hatten!
Er schauderte, schob den Arm mit seinem Fuß zur Seite und ging zum Telefon. »Krakovic?«
»Wer?«, fauchte ein unbekannter Anrufer. »Krakovic? Sind Sie der Verantwortliche?« Es war eine Frauenstimme, und zwar eine äußerst energische.
»Ich glaube schon, ja«, antwortete Krakovic. »Was kann ich für Sie tun?«
»Für mich nichts. Was den Parteivorsitzenden angeht, kann nur er das entscheiden. Er hat die letzten fünf Minuten über versucht, Sie zu erreichen!«
Krakovic war müde. Er hatte seit diesem Albtraum nicht mehr geschlafen und bezweifelte, dass er je wieder schlafen würde. Er und die anderen vier Überlebenden, einer davon ein tobender Wahnsinniger, waren erst am Sonntagmorgen, als ihnen die Luft ausgegangen war, aus dem Tresorraum hervorgekommen. Seither hatten die anderen ihre Aussagen gemacht und waren heimgeschickt worden. Schloss Bronnitsy war eine Hochsicherheitseinrichtung, also würden ihre Aussagen unter Verschluss bleiben. Krakovic, der als Einziger der Überlebenden noch einigermaßen klar denken konnte, hatte sogar verlangt, dass man den gesamten Fall in allen Aspekten direkt Leonid Breschnew mitteilen solle. Das entsprach ohnehin den Vorschriften: Breschnew war die Nummer eins, persönlich und unmittelbar verantwortlich für das E-Dezernat, trotz der Tatsache, dass er alles Gregor Borowitz überlassen hatte. Doch das Dezernat war für den Parteivorsitzenden wichtig gewesen, und alle wichtigen Ergebnisse hatte man ihm mitgeteilt. Borowitz hatte ihm außerdem bestimmt ausführlich von der paranormalen Arbeit des Dezernats – der sogenannten ESP-Spionage berichtet – also sollte Breschnew wenigstens einigermaßen in der Lage sein, zu beurteilen, was hier geschehen war. Jedenfalls hoffte Krakovic das. Auf jeden Fall war das besser, als zu versuchen, Yuri Andropow alles zu erklären!
»Krakovic?«, schnauzte ihn das Telefon an. War das wirklich der Parteivorsitzende?
»Äh, ja, Towaritsch, Felix Krakovic. Ich war Mitglied des Stabs von Genosse Borowitz.«
»Felix? Warum sagen Sie mir Ihren Vornamen? Erwarten
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