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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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mir nicht davon machen, und andere sind hier unmöglich. Ich sehe auf den Tod mit absoluter Ruhe, aber weder mit Sehnsucht noch mit Begeisterung. In der Gegenwart suche ich mehr Tätigkeit als Genuß. Im Grunde ist aber dieser Ausdruck unrichtig. Der Genuß entsteht durch die Tätigkeit, beide sind also immer verbunden. Es gibt
allerdings auch Genuß, der wie eine reine Himmelsgabe uns zuströmt. Den kann man aber nicht suchen, und es ist beklagenswert, wenn sich die Sehnsucht auf einen solchen heftet. Aber der große Genuß, das große Glück, das wahrhaft durch keine Macht entreißbare, liegt in der Vergangenheit und in der gewissen Betrachtung, daß das große Glück zwar ein großes, schätzenswürdiges Gut, aber daß doch die Bereicherung der Seele durch Freude und Schmerz, die Erhöhung aller edeln Gefühle der wahre und letzte Zweck ist, übrigens alles in der Welt wechselnd und seiner Natur nach vergänglich ist. Durch diese Ansicht versinkt das Leben in der Vergangenheit nicht in ein dumpfes Brüten über vergangene Freuden oder empfundene Leiden, sondern verschlingt sich in die innere Tätigkeit, welche das Gemüt in der Gegenwart beschäftigt. So ist es in mir, und da die Gefühle, auf welchen mein Leben beruht, jetzt alle in die Vergangenheit entrückt sind, auf eine zwar von Wehmut begleitete, aber ein so süßes und so sicheres, von Menschen und Schicksalen so unabhängiges Glück gebende Weise, daß nichts es zu entreißen, ja selbst nur zu schwächen vermag.
    Ich bitte Sie, Ihren nächsten Brief am 26. d. M. zur Post zu geben; wenn Sie früher schreiben, ist mir Ihr Brief immer und an jedem Tage willkommen.
    Leben Sie herzlich wohl. Mit aufrichtiger und unveränderter Teilnahme der Ihrige. H.
     
     
Tegel
, den 6. November 1830.
     

    I ch habe, liebe Charlotte, Ihren am 26. v. Mts. abgegangenen Brief vor einigen Tagen empfangen und danke Ihnen herzlich dafür. Er ist in einer so ruhigen Stimmung geschrieben, daß er mir dadurch doppelt erfreulich geworden ist. Denn ich bin überzeugt, daß gerade diese Stimmung auch für Sie die beglückendste ist. Der schöne Herbst ist aber auch recht gemacht, der Seele und dem Gemüt so viel Heiterkeit und eine so lebendige Farbe zu geben, als ein jeder nach seinem inneren Zustande in sich aufzunehmen fähig ist. Ich denke, ich erinnerte mich nie eines so schönen und beständigen Oktobers und beginnenden Novembers. Im vorigen Jahre lag um diese Zeit schon Schnee, der dann auch den ganzen Winter liegen blieb. Jetzt ist die Luft milde wie im Sommer, und kaum daß hier und da ein Regentag das wolkenlose Blau des klaren Himmels unterbricht. Gestern leuchteten schon die Steine sehr hell, als ich vom Spaziergange zurückkam, und auch heute war es noch lange nach Sonnenuntergang sehr schön. Die Monatsrosen sind in der reichsten, üppigsten Blüte. Es ist wirklich etwas Ungewöhnliches in dieser Witterung, als wollte der Himmel der Erde eine Entschädigung für den letzten langen Winter angedeihen lassen. Wie sehr ich mich aber auch freue über das schöne Wetter, so liebe ich doch eigentlich den Herbst nicht. Die
Entblätterung der Bäume hat etwas so Trauriges und gibt der Natur, die erst überall Fülle, Reichtum und Üppigkeit ist, den entgegengesetzten Charakter der Dürftigkeit. Die herbstlichen Bäume haben auch für mein Gefühl etwas noch mehr Widerwärtiges als im Winter. Dann ist die Zerstörung wenigstens vorüber, im Herbst aber stellt sie sich noch im Werden selbst dem Auge dar. Die armen Bäume sehen so vom Winde gezaust und mißhandelt aus, daß man Mitleid, wie mit Menschen, mit ihnen haben möchte. Im früheren Herbst lieben viele Leute die mannigfaltigen Farben, welche dann das Laub annimmt. Ich habe das oft rühmen hören. Ich selbst aber habe nie Gefallen daran finden können und hätte diese Farbenpracht gern der Natur geschenkt. Wie viel schöner ist das allgemeine Grün des Sommers, und man hätte sehr unrecht, dieses einförmig zu nennen. Es hat vom Zarten und Hellen an bis zum tiefsten Dunkel so mannigfaltige Nüancen, daß auch der Wechsel und die Schattierungen das Auge erfreuen. Diese Farbennüancen sind aber milde und fein und nicht so grell als die herbstlichen Farben.
    Die Versicherungen, die Sie mir geben, daß Sie nicht unruhig, nicht bekümmert sind, haben mich sehr gefreut, und ich glaube Ihnen gern. In dem Sinne, in welchem Unruhe und Unzufriedenheit zu tadeln sind, schreibe ich sie Ihnen auch nicht zu. Daß Sie bewegt und

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