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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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so bald meinen Wunsch in dieser Sache erfüllt haben, und zu einer Zeit, wo Sie durch Ihr Umziehen auch sehr gestört waren. – Da das Wetter so rauh ist, bin ich noch mit meiner Familie in der Stadt, und gehe auch vorerst nur auf mein nahegelegenes kleines Landgut Tegel. Nachher vermutlich nach Ottmachau in Schlesien, auf sechs bis acht Wochen. Leben Sie herzlich wohl und verwahren Sie sich ja in Ihrer Wohnung gegen die Einflüsse der
äußeren Lust, die noch garnicht frühjahrmäßig ist. Ihr H.
     
     
Tegel
, den 15. Mai 1823.
     

    I ch schreibe Ihnen, liebe Charlotte, von meinem kleinen Landsitze aus, der Ihnen schon bekannt ist. Ich bin mit den Meinigen seit einigen Tagen hier, das Wetter aber begünstigt uns sehr wenig. Es ist ein ewiges Stürmen, Regnen, oder wenigstens ein mit Wolken bedeckter Himmel. Den letztern liebe ich zwar wohl im Sommer. Wenn die Wolken leicht sind und nur wie ein zarter Schleier das helle Blau verhüllen, und es dabei windstill und warm ist, so hat es etwas Wehmütiges, was einer gleichgestimmten Seele sehr wohl tut. Das Grün ist noch sehr zurück, die Eichen im Walde fangen erst an, Laub anzusetzen, und nur die frühesten Bäume, Kastanien, Flieder und solche prangen schon in vollem Laube. Dagegen sind die Blüten der Obstbäume reich und schön. Ich denke mir täglich, daß Sie das alles nun auch in Ihrem Garten genießen und bin nur bange, daß der Wind und das schlimme Wetter, da Ihre Wohnung, wie Sie schreiben, gar nicht dicht genug verwahrt ist, Ihnen darin lästig sein werden. Die Anwesenheit meines Bruders in Berlin und eine Reihe anderer kleiner Umstände hatten gemacht, daß ich den ganzen Winter über in der Stadt geblieben war und gar keinen Aufenthalt hier gemacht hatte; so ist mir das
Land wie neu und ich genieße es doppelt. Es ist eigentlich wunderbar, daß gerade die freie Natur und die Einsamkeit einen so großen Reiz für mich haben, da mein Leben nicht dazu beitragen konnte. Wenn man immer daran gewöhnt gewesen ist, oder wenn man es in sehr langer Zeit nicht genossen hat, in beiden Fällen kann man eine solche Neigung leicht erklären. Die Neuheit tritt im letzten Fall an die Stelle der Gewohnheit. Bei mir war keins von beiden der Fall. Ich bin weder ganz von Land und Einsamkeit, auch nur auf mehrere Jahre entfernt gewesen, noch habe ich beide so viel genossen, daß sie mir gleichsam zur andern Natur geworden wären. Als ich viele Jahre lang noch nicht in Geschäften war, reiste ich, oder war sonst unter Menschen, hatte nicht einmal ein Gut, und wohnte aus eigener, freilich durch andere Dinge bestimmter Wahl in kleinen Städten. Die Geschäfte zogen mich in große und vielfache von aller ländlichen Einsamkeit entfernte Zirkel. Doch auch dann fand ich Mittel, mich zu isolieren, und war oft mitten in der Gesellschaft einsam. Man lernt das sehr gut, wenn man nur ein innerliches Interesse hat, das genug die Seele einnimmt. Ich habe es aber immer als eine wahre Wohltat des Himmels angesehen, für die ich dem Geschick nicht genug danken kann, und empfinde es noch jeden Tag ebenso, daß es mich gerade in meinem Alter in die Lage versetzte, in der ich, wie es auch sonst immer sein möge,
dieser Lieblingsneigung frei nachhängen kann. Die meisten legen es mir noch als eine Anspruchlosigkeit und Philosophie aus, daß ich nicht bloß im Augenblicke, wo es geschah, die Geschäftswirksamkeit mit Gleichmut aufgegeben habe, sondern auch seitdem ruhig, beschäftigt und glücklich lebe, ohne Plan wieder in dieselbe zu treten und mit sichtbarer Abwesenheit aller Zeichen, daß ich auch versteckt irgend eine Sehnsucht danach habe. Ich mache mir nicht das mindeste Verdienst daraus, weil ich weiß, daß ich keins dabei habe. Was geschehen ist, entsprach meiner Neigung, die sich auf Grundlagen meines innern Charakters stützt, so ist es kein Wunder, daß sie dauernd ist. Sie wird nie geschwächt werden. Es ist mir überhaupt immer eine widrige Idee gewesen, so bis zum Ende des Lebens an Verhältnissen teilzunehmen, die mit dem Moment des Todes alle gleichsam zu nichts werden, von denen man nichts jenseits mit hinüber nimmt. Und doch ist in Geschäften alles in dieser Art. Ganz anders ist es mit der Beschäftigung mit Ideen und Kenntnissen. Auch wenn die letztern ganz ins Einzelne eingehen, hängen sie doch zuletzt immer mit Ideen zusammen, die, wenn man sie recht verfolgt, ihren Mittelpunkt nicht mehr in dieser Welt haben.
    Was man in dieser Art erwirbt und ausbildet, behält man

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