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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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wäre dahin, wenn es einem je deutlich würde, daß dies Streben nie um eine Stufe weiter führt, etwa wie das Treten der Leute, die in einem Rade eine Last in die Höhe heben. Mit dem Alter ist es nicht anders, es ist im Grunde, wo es schön und kräftig empfunden wird, nicht anderes, als ein Hinaussehen aus dem Leben, ein Steigen des Gefühls, daß man die Dinge verlassen wird, ohne sie zu entbehren, indem man doch zugleich sie liebt und mit Heiterkeit auf sie hinblickt, und mit Anteil in Gedanken bei ihnen verweilt. Selbst ohne auch religiöse Gedanken an den Anblick des Himmels zu knüpfen, hat es etwas unbeschreiblich Bewegendes, sich in der Unendlichkeit
des Luftraums zu verlieren, und benimmt so auf einmal alle kleinlichen Sorgen und Begehrungen des Lebens, und der Wirklichkeit ihre sonst leicht einengende Wichtigkeit. So sehr auch der Mensch für den Menschen das Erste und Wichtigste ist, so gibt es gerade nichts gegenseitig mehr Beschränkendes, als die Menschen, wenn sie, enge zusammengedrängt, nur sich vor Augen haben. Man muß erst oft wieder in der Natur ein höheres und über der Menschheit waltendes Wesen erkennen und fühlen, ehe man zu den beschränkten Menschen zurückkehrt. Nur dadurch auch gelangt man dahin, die Dinge der Wirklichkeit nicht so wichtig zu halten, nicht so viel auf Glück oder Unglück zu geben, Entbehrung und Schmerz minder zu achten, und nur auf die innere Stimmung, die Verwandlungen des Geistes und Gemüts seine Aufmerksamkeit zu richten, und das äußere Leben bis auf einen gewissen Grad in sich untergehen zu lassen. Der Gedanke des Todes hat dann nichts, was abschrecken oder ungewöhnlich bekümmern könnte, man beschäftigt sich vielmehr gern mit ihm, und sieht das Ausscheiden aus dem Leben, was ihm auch immer folgen möge, als eine natürliche Entwicklungsstufe in der Folge des Daseins an. Ich komme zum Teil mit deshalb auf diese Betrachtungen, weil ich eben die Zugabe zu Ihrem zweiten Heft gelesen habe, für die ich Ihnen herzlich danke und deren Inhalt damit enge zusammenhängt. Es ist schwer zu bestimmen,
was man über die Tatsachen, denn als solche muß man Selbsterfahrenes ansehen, sagen soll.
    Daß eine geliebte Person im Augenblick ihres Abscheidens, oder auch nachher, den Elementen und der Sinnenwelt die Kraft abgewinnt, zu erscheinen, läßt sich zwar auch nicht weiter begreiflich machen, allein die menschliche Seele empfindet doch selbst Dinge in sich, welche die Möglichkeit, wenn auch nur in einem Schleier, durchblicken lassen. Wer je Sehnsucht in sich getragen hat, begreift, daß sie eine Stärke gewinnen kann, die von selbst die gewöhnlichen Schranken der Natur durchbricht. Es mag aber auch bei dem, der etwas sehen soll, eine Empfänglichkeit notwendig sein, die Geistergegenwart zu vernehmen, und wir mögen manchmal von Geistern umgeben sein, ohne es zu wissen oder zu ahnen. Warum man weniger Geister sieht, weniger von Erscheinungen hört, läßt sich eher erklären. Unter den Geschichten von ehemals waren wohl viele falsch, nicht gerade erfundene, aber ununtersucht gebliebene, oder nicht verstandene, natürliche Ereignisse. Man hatte mehr Glauben überhaupt und auch an diese Dinge, man war mehr zur Furcht vordem Übernatürlichen geneigt; die Meinung von einem bösen Geist, der quäle und verführe, wurde sinnlicher und materieller genommen. Indes mag auch außerdem richtig sein, daß doch auch wahre Erzählungen, wirklich übernatürliche Wirkungen, wie die von Ihnen beobachtete,
häufiger waren, und wenn das ist, ist die Erklärung freilich schwierig, zumal wo so eine Wirkung von mehreren sehr verschiedenartigen Menschen beobachtet wurde, wie es in Ihrem Hause der Fall war. Denn Erscheinungen und Gesichter einzelner würden sich eher erklären lassen. Ich sagte schon erst, daß eine gewisse Empfänglichkeit auch zur Wahrnehmung des Übersinnlichen gehöre. Diese mochten die Menschen in jener Zeit mehr haben, wo sie weniger weltlich zerstreut lebten, ihr Gemüt innerlicher gesammelt, frommer und ernster auf eine Wesenreihe außerhalb der irdischen Welt gerichtet war. Gerade bei einem Manne von so würdigem, tief religiös gestimmtem Charakter, wie Ihr Vater war, konnte das füglich der Fall sein. Wie es sei, so hat er die Sache trefflich aufgenommen, zugleich ohne Furcht und Unglauben. Die Erzählung hat mich ausnehmend interessiert, ich danke Ihnen herzlich dafür, und sehe es als einen lieben Beweis Ihrer Bereitwilligkeit an, mir Freude zumachen, daß Sie

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