Briefe an eine Freundin
Nachsicht bitten. Daß ich in Wahrheit teil an Ihnen nehme, daß ich Ihnen auch gern schreibe, sehen Sie genug auch daraus, daß ich Ihnen vom Anfange an frei und offen, wie ich immer bin, sagte, daß ich ungern schreibe, daß Sie selten und kurze Briefe von mir bekommen würden, und daß ich doch häufig, und wie selbst dieser zeigt, sehr lange Briefe wirklich schreibe. Um zu Ihrer Lebenserzählung zurückzukehren, so kann ich Ihnen nur wiederholen, daß Sie mir durch die Fortsetzung wahre Freude machen werden, muß aber auch hinzusetzen, daß meine Bitte immer von der Voraussetzung ausgeht, nicht bloß, daß Sie es gern tun, das weiß ich gewiß, sondern auch, daß Sie Stimmung und Zeit in Anschlag bringen, und sich nur dann damit beschäftigen, wenn beide es erlauben; ich weiß ja, wie gewissenhaft Sie Ihre Zeit anwenden und darüber denken, und Sie wissen, wie dies meine wahre Achtung für Sie erhöht. Was Sie mir von den Geistererscheinungen sagen, hat mich noch neugieriger darauf gemacht. Ich bin ganz der Meinung Ihres verewigten Vaters. Niemand kennt den geheimen, Zusammenhang der Dinge, und ich werde keinen Unglauben haben. Leben Sie nun herzlich wohl, liebste Charlotte! Suchen Sie
sich zu erheitern, tun Sie es auch aus Liebe zu mir, und glauben Sie, daß niemand so gern und so oft an Sie denkt, als ich. Ihr H.
Berlin
, den 12. April 1823.
I ch danke Ihnen recht herzlich für Ihre wenigen Zeilen, welche Ihnen Ihre liebevollen Gesinnungen eingaben. Ihre Worte: »Nehmen Sie dem gepreßten Herzen die Worte nicht genau, so wenig als den Kleinmut, der Folge schwerer Verhängnisse ist« – diese Worte haben mich tief gerührt. Niemals werden Sie in meinen Gesinnungen den leisesten Wandel erkennen. – Ihrem nächsten Briefe sehe ich nun mit großem Verlangen entgegen; aus einigen Äußerungen möchte ich schließen, daß ich Ihnen eine angenehmere Aussicht eröffnet habe. – – – H.
Berlin
, den 25. April 1823.
I ch wollte mich eben hinsetzen, liebe Charlotte, Ihren lieben Brief vom 9. dieses zu beantworten, als ich zu meiner großen Freude den vom 20. bekam. Ich glaubte schon, Sie wollten, ehe Sie mir schrieben, erst eine Antwort von mir abwarten. Ich freue mich sehr, Sie nicht in dem Hause zu wissen, vor dessen unlieblichen Bewohnern Sie mit Recht einen so großen Abscheu hatten.
Sie haben bei Ihrem neuen Etablissement wenigstens an Ruhe und Einsamkeit gewonnen. Ich begreife indes vollkommen Ihren Widerwillen vor der Stadt. Wäre ich nicht meiner Kinder wegen hier, die einmal ihrer Verhältnisse wegen die Stadt, zumal im Winter, nicht verlassen können, so würde ich immerfort auf dem Lande bleiben. Selbst, wo die Gegend nicht reizend wäre, bleibt der Anblick des freien Himmels schon viel. Der Anblick des Himmels hat überhaupt unter allen Umständen einen unendlichen Reiz für mich, bei sternenhellen, wie bei dunklen Nächten, bei heiterm Blau, wie bei ziehenden Wolken, oder dem traurigen Grau, worin sich das Auge verliert, ohne etwas darin zu unterscheiden. Jeder dieser Zustände entspricht einer eigenen Stimmung im Menschen, und wenn man das Glück hat, diese Stimmung nicht gerade von den Elementen empfangen zu müssen, nicht düster zu werden mit dem düsteren Himmel, sondern in der aus dem reinen Innern entsprungenen Stimmung, durch den Anblick des Himmels nur in andere und andere Betrachtungen versenkt zu werden, so hat man wenigstens kein Mißfallen am farblosen Himmel, wenn man auch dem ruhig und mild strahlenden natürlich den Vorzug gibt. Mir ist überhaupt das Klagen über Wetter fremd, und ich kann es an andern nicht sonderlich leiden. Ich sehe die Natur gern als eine Macht an, an der man die reinste Freude hat, wenn man ruhig mit
allen ihren Entwicklungen fortlebt, und die Summe aller als ein Ganzes betrachtet, indem es nicht gerade darauf ankommt, ob jedes Einzelne erfreulich sei, wenn nur der Kreislauf vollendet wird. Das Leben mit der Natur auf dem Lande hat vorzüglich darin seinen Reiz für mich, daß man die Teile des Jahres vor seinen Augen abrollen sieht. Mit dem Leben ist es nicht anders, und es scheint mir daher immer aufs mindeste eine müßige Frage, welches Alter, ob Jugend oder Reife, oder sonst einen Abschnitt man vorziehen möchte. Es ist immer nur eine Selbsttäuschung, wenn man sich einbildet, daß man wahrhaft wünschen könnte, in Einem zu bleiben. Der Reiz der Jugend besteht gerade im heiteren und unbefangenen Hineinstreben in das Leben, und er
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