Briefe an eine Freundin
immer bleiben wird. Sie werden mir große Freude machen, wenn Sie fortfahren, an Ihrer Lebensbeschreibung zu arbeiten.
Ganz der Ihrige. H.
Herrnstadt
, den 9. Juli 1824.
N ehmen Sie nicht übel, liebe Charlotte, daß ich Ihnen mit lateinischen Lettern schreibe. Aber meine Augen sind schon seit geraumer Zeit so, daß ich sie sehr schonen muß, und da habe ich jetzt die Entdeckung gemacht, daß die kleinen deutschen Buchstaben sie mehr angreifen als die größeren lateinischen. An Deutlichkeit gewinnen auch Sie im Lesen bei dem Tausch. Es gibt aber Personen, welchen die lateinische Schrift mißfällig ist, und die wenigstens, weil sie ihnen fremd vorkommt, sie nicht gern im Briefwechsel mit Personen gebraucht sehen, die ihnen wert
sind. Ich halte Sie, nach Ihrer übrigen Art zu sein, von solcher gewissermaßen eigensinnigen Ansicht frei. Wären Ihnen indes doch diese Buchstaben weniger angenehm, so sagen Sie es mir ja, ich kehre dann zu den andern zurück. – Wenn ich Ihnen nicht einmal geschrieben habe, daß meine zweite Tochter hier verheiratet ist, so dürfte Ihnen der Ort der Überschrift dieses Brief es wohl kaum auf irgendeine Art bekannt sein. Ich denke aber, daß ich es Ihnen einmal aus Berlin, als ich Ihnen über die Meinigen schrieb, gesagt habe, so wenig es mir sonst eigen ist, über das, was mich umgibt, oder mir begegnet, in Briefen zu reden. Dieser Ort, eine kleine, sehr unbedeutende Stadt, liegt kaum eine Tagereise von Breslau entfernt, ich bin seit einigen Tagen hier, gehe aber in wenigen andern von hier nach Ottmachau auf mein Gut, wohin ich Sie bat, mir zu schreiben. Es hat, dünkt mich, immer etwas die Phantasie und das Gemüt angenehm Ansprechendes, wenn man weiß, daß an einem Ort und in einer Gegend, die einem sonst ganz und gar fremd ist und die man gar nicht oder kaum dem Namen nach gekannt hat, mit freundschaftlicher Teilnahme an einen gedacht wird. Diese Empfindung wünsche ich, daß die Überschrift dieser Zeilen auf Sie machen möge. Von Ottmachau habe ich Ihnen schon öfter geschrieben. – Wir haben hier eine warmnasse oder wenigstens feuchte Witterung, die leicht etwas Melancholisches haben kann, die ich aber sehr liebe.
Die Natur hat dann eine doppelt wohltätige Stille und ist wie mit einem nebeligen Schleier überzogen, der indes doch die Gegenstände nicht verdunkelt, sondern nur ihre Formen und Farben sanfter hervortreten läßt. Ich bin immer und doppelt auf Reisen auf die mannigfaltigsten Modifikationen aufmerksam, welche die Verschiedenheit der Luft- und Wolkenbeschaffenheit dem Charakter der nämlichen Gegend gibt. Man kann eine Gegend immer ihrem Charakter nach, nach Art eines Menschen betrachten, und jene Modifikationen entsprechen dann den verschiedenen Stimmungen des Gemüts und sind, wie sie, ruhig und bewegt, sanft und hart, fröhlich oder traurig, ja auch wohl launen- und grillenhaft. Danach machen Sie denn auch ihren Eindruck auf den, der auf sie zu achten versteht, und ich kann wohl sagen, daß ich das Glück habe, diesen Eindruck nur immer so zu erfahren, wie er für die Seele Reiz hat, sie angenehm und lebendig spannt. Unangenehme Wirkungen macht das Wetter nie auf mich, und wenn es schwermütig oder schauerlich ist, empfinde ich es ungefähr nur ebenso, wie man auf dem Theater schwermütige oder schauerliche Szenen aufnimmt. – Beim Theater fällt mir ein, daß Sie es vermutlich auch garnicht, oder doch höchst selten besuchen. Mein Fall ist das ganz und gar, vorzüglich seitdem meinen Augen der Glanz der vielen Lichter zu widrig und mein Gehör auch nicht mehr gut genug ist, um die wenigstens
nicht sehr gut und deutlich redenden Schauspieler zu verstehen. Hier ist jetzt gerade eine herumziehende Truppe, und ob man gleich hier vor allem Glanz und blendendem Lichte sicher und auch bei der Nähe der Sitze eher in Gefahr wäre, überschrieen zu werden, so bin ich doch noch nicht dazu gekommen, sie spielen zu sehen. An einem guten Schauspiel entbehrt man wirklich viel, wenn man darauf, freiwillig oder durch Umstände genötigt, Verzicht leistet. Selbst wenn die Schauspieler nur mittelmäßig sind, hat das Vortragen eines guten Stücks (denn darauf kommt freilich alles an) durch Personen, die als selbsthandelnd auftreten, immer etwas mehr Ergreifendes und Belebendes als selbst ein viel besseres, einzelnes Vorlesen. Auf der andern Seite aber liegt ein besonderer Reiz darin, sich von allen Gelegenheiten größerer Versammlungen zurückzuziehen. Schon jung,
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