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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Lüge wieder vor die Stirn.
    Herr Richter Me-lon hat mir übrigens geholfen, die Sache mit dem A-tao-Wagen-Besitzer zu regeln. Es ist errechnet worden, daß der Besitzer mit seinem A-tao-Wagen viel schneller gefahren ist als zulässig. Herr Richter Me-lon begleitete mich zu jenem berufsmäßigen Fürsprecher Kä-w’, der freundlicher war, als sein Brief damals geklungen hat. Herr Kä-w’ sagte, daß sein Mandant das einsehen müsse. Wenn er nicht so schnell gefahren wäre, wäre nichts passiert, oder zumindest wäre der Aufprall auf den Baum halb so schlimm gewesen. Da ich mich nicht aus dieser Welt verflüchtigen will, während ich noch jemandem etwas schuldig bin, habe ich Herrn Fürsprecher Kä-w’ die Hälfte der ursprünglichen Forderung, nämlich den Gegenwert von fünf Silberschiffchen bezahlt, dem Fürsprecher selber für seine Mühe den Gegenwert von einem. Damit sei, versicherte mir Herr Kä-w’ unter heftigem Beuteln meiner rechten Hand, die Sache erledigt.
    Die wenigen Tage, die mir hier noch verbleiben, die Tage, nachdem ich die Rechnung im Hong-tel bezahlt habe, verbringe ich ganz bei Frau Pao-leng. Sie wird Deine Briefe bei sich behalten, die Du mir geschrieben hast. Ich habe ihr zu dem Zweck ein Lackkästchen gekauft, das recht hübsch ist und das man mit einigem guten Willen als aus dem Reich der Mitte stammend ansehen könnte. Über den Abschied reden wir nicht mehr. Als wir noch einmal die Tanz- und Gesangsvorstellung ›Das Land, in dem immer gelächelt wird‹ besuchten, lachten wir beide gemeinsam. Frau Pao-leng werde ich die restlichen Silberschiffchen und die Goldbecher hinterlassen.
    Außerdem werde ich ihr einen Armreif aus Email schenken, dessen materieller Wert ganz gering ist, aber die Farbe soll sie an mich erinnern. Es ist eine Drachenfarbe. Es ist auch eine Gefühlsfarbe.
    Ich hatte zunächst den Gedanken, meine Abreise so zu gestalten, daß mich Frau Pao-leng und Herr Shi-shmi zum Kontaktpunkt begleiten würden, dorthin auf die kleine Brücke über den Kanal, daß wir zusammen noch einen Becher Mo-te Shang-dong trinken würden und daß dann die beiden einige Schritte zurücktreten würden … aber ich glaube, das ist kein guter Gedanke. Es ist besser, wenn ich allein hingehe, allein meine Reise antrete, um so, wie ich gekommen bin, diese Welt wieder zu verlassen. So werde ich es halten. Auf der anderen Seite, wenn man so sagen kann, wirst Du mich erwarten, meine geliebte Shiao-shiao auf dem Arm, der ich von Meister Mi erzählen werde.
    Lebe wohl, mein Treuer, in wenigen Tagen sehen wir uns wieder. Ich bin
    Dein Kao-tai

Siebenunddreißigster und letzter Brief
    (Montag, 24. Februar)
    Mein lieber Dji-gu.
    So schreib ich Dir doch noch einen kurzen Brief. Deinen letzten habe ich noch erhalten. So sage ich Dir also genau den Tag und die Stunde meiner Ankunft.
    Heute ist Vollmond. In sieben Tagen, merke Dir das genau, ist es soweit.
    Das Wetter ist kalt, aber sonnig. Die Großnasen, die in allen, selbst in unwichtigen Dingen die Zukunft berechnen wollen, versuchen sogar das Wetter vorauszusagen. Ab und zu treffen diese Voraussagungen sogar ein. Jetzt, so heißt es, glaube man, daß das Wetter für die nächsten Tage so bleiben wird. Vom Frühling ist hier noch keine Spur zu bemerken, aber das macht mir jetzt nichts mehr aus, denn Du schreibst, daß in Deinem Park schon die Magnolien blühen, und so werde ich in einen heimatlichen Frühling reisen. In sieben Tagen, und zwar genau zu Beginn der Stunde des Pferdes. 26
› Hinweis
Ist das Werk vollbracht, dann sich zurückziehen, das ist des Himmels Sinn (Tao 27
› Hinweis
).
    Ich habe mein Werk im Geheimen vollbracht. Es war kein leichtes Werk. Die Großnasen haben nichts bemerkt davon, daß sie von mir beobachtet wurden. Sie werden es auch nicht bemerken. Meinen Zeitgenossen werde ich meine Erkenntnisse verschweigen. Warum? das habe ich Dir schon geschrieben.
    Herr Shi-shmi hat mich aufgefordert, ja dringend gebeten, meine Erkenntnisse über diese Welt, seine Welt der Großnasen von Min-chen und Ba Yan niederzuschreiben, die letzten Tage zu benutzen, um meine Eindrücke zusammenzufassen. Er würde, sagte er, für die spätere Veröffentlichung sorgen. Er sagte, daß meine Erkenntnisse, die sozusagen eine angeborene Unvoreingenommenheit hätten, für die Großnasen von unschätzbarem Wert seien.
    Ich habe abgelehnt. Ich zweifle nicht am Wert meiner Erkenntnisse für die Großnasen. (So gering der Wert für meine Zeitgenossen wäre.) Es

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