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Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel

Titel: Britannien-Zyklus 04 - Die Herrin der Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
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der beiden jungen Frauen sein Lächeln erwiderte, und er wusste, dass zumindest sie ihn ganz und gar nicht als Kind betrachtete.
     
    »Sag jetzt bloß nicht, dass es mir nach all dem Kummer, den ich dir bereitet habe, recht geschieht, in meinem Sohn einen Feind zu finden!«, rief Morgause aus und wirbelte herum, um Igraine anzufunkeln, die reglos auf ihrem großen geschnitzten Stuhl saß. So still – selbst inmitten ihrer Verwirrung spürte Morgause einen Stich im Herzen. Mit jedem Tag wirkte Igraine zerbrechlicher, als verdunstete ihre Kraft wie der Morgentau.
    Doch als sie antwortete, sprach sie mit fester Stimme. »Habe ich das etwa behauptet? Aber wenn er sich nun rebellisch zeigt, solltest gerade du dafür Verständnis haben.«
    »Das ist es nicht, was mich beunruhigt. Medrod ist so geworden, wie ich ihn geformt habe, und nun, da ich kein Verlangen mehr habe, ihn zu formen, fürchte ich, ihn an die Welt zu verlieren.«
    »Du hast ihn geformt«, bemerkte die dritte Frau, die bei Igraine gesessen hatte, als Morgause durch die Tür in die Kammer stürzte. »Aber die Weisen meines Landes lehren, dass es der Nornen drei gibt. Du magst wohl verantwortlich dafür sein, was geschehen ist, doch nun wird aus deinem Sohn ein neuer Mensch, und er muss selbst über seine Zukunft entscheiden.«
    »Was weißt du schon darüber, Fremde?«, spie Morgause ihr entgegen. Igraine hob eine Hand, um ihr Einhalt zu gebieten, und Morgause verbiss sich die nächsten Worte. Selbstbeherrschung war ihr fremd geworden.
    Haedwig hielt Morgauses durchdringendem Blick ungerührt stand. Morgause war dazu erzogen worden, die Sachsen als Feinde zu betrachten, weshalb sie Haedwigs Namen und Herkunft als gleichermaßen störend empfand. Doch Igraine hatte die Weisfrau willkommen geheißen, und in Wahrheit besaß die Alte, die geholfen hatte, den jungen König von Cantuwara großzuziehen, vielerlei Wissen, das ihnen von Nutzen sein konnte.
    »Ich war alles andere als glücklich, als es an der Zeit war, Eormenric in die Obhut der Männer zu entlassen – sieben Jahre scheint mir immer noch zu jung dafür«, sagte Haedwig schließlich. »Aber es stimmt, dass ein heranwachsendes Kind sowohl männlichen als auch weiblichen Einfluss benötigt. Lass doch seinen Vater sich seiner annehmen, wenn Medrod eine strengere Hand braucht.«
    Eine kurze, spannungsgeladene Stille trat ein.
    »Sein Vater ist der Hochkönig…«, presste Morgause zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »Ah – und der ist dein Bruder…«, Haedwig nickte. »Ich weiß, dass die Christen für derlei Dinge wenig Verständnis aufbringen.«
    Eine Weile starrte Morgause sie noch an. Dann begann sie recht hilflos zu lachen. Haedwig, die zerfurcht und gebückt wie ein alter Holunderstrauch wirkte, spielte die Rolle der schlichten Dorfweisen sehr gut, doch Morgause durchschaute die Maske. Die Wicce verharmloste die Gefahr absichtlich, um sie zu trösten.
    Morgause überlegte sich gerade eine höfliche Erwiderung, als es an der Tür klopfte. Im nächsten Augenblick schwang sie auf, und sie erblickten Verica, eine der jungen Priesterinnen, die mit Medrods Bewachung beauftragt worden waren.
    »Er ist weg!«
    Eine eiskalte Hand umklammerte Morgauses Herz.
    »Hat er Cunovinda verletzt?«, wollte Igraine wissen.
    »Oh, Vinda geht’s gut – es sei denn, man bezeichnet ein gebrochenes Herz als Wunde«, antwortete Verica verbittert. »Als ich wegging, hat sie eine verriegelte Tür bewacht, und als ich zurückkehrte, stand sie sperrangelweit offen; Vinda weinte sich die Seele aus dem Leib, weil er sie überredet hatte, sie zu öffnen und ihr dann entwischt war!«
    Es hätte schlimmer kommen können, dachte Morgause wie betäubt. Er hätte das Mädchen mitnehmen und töten oder in der Wildnis aussetzen können. Wer wusste schon, wozu Medrod fähig war?
    »Er ist deiner Hand entglitten, Tochter«, meinte Igraine, und Haedwig fügte hinzu: »Von nun an schmiedet er sein Schicksal selbst.«
    »Das ist wahr, doch das Schicksal dieses einen Kindes könnte ein ganzes Königreich erschüttern«, entgegnete Igraine.
    Morgause nickte. Wie dieses Schicksal aussehen mochte, wagte sie sich nicht auszumalen, aber sie wusste, wohin Medrod wollte, und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie Mitleid für Artor.
     
    Der Hochkönig von Britannien saß auf seinem Prunkstuhl, um die Botschafter zu empfangen. Die Basilika in Calleva oder Londinium wäre eindrucksvoller gewesen, doch die lang gezogene Kammer, die

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