Broken Lands
als Susannah nicht mehr weitersprechen konnte. «Schaut her.» Bios wandte ihr sein Gesicht zu, als sie ihre Pantoffeln abstreifte und die Hosen hochzog, um ihre verstümmelten Füße zu zeigen. «Schaut! Das hat jemand mit Absicht gemacht. Wir alle haben Dinge gesehen, die ihr auch erlebt habt. Ich laufe jeden Tag auf den Erinnerungen an diese schlimme Tat herum.»
«Warum sollen wir diese Dinge dann nicht auslöschen?», fragte Bios beharrlich nach.
«Weil wir daran glauben, dass dieses Land es wert ist, gerettet zu werden», antwortete Susannah. «Wenn ihr zugeschaut habt, dann wisst ihr, wie viel Mühe wir uns gegeben haben, um diese beiden Städte zu retten.»
«Du sagst, du sprichst für diese Städte», entgegnete Bios zu Susannah gewandt. «Vielleicht hast du keine andere Wahl.» Er deutete auf Jins Füße. «Und du? Warum gehst du weiter, wenn dir das Gehen wehtut?»
«Weil …» Jin zögerte. «Weil der Schmerz einmal schlimmer war, als er jetzt ist, und vielleicht wird es eines Tages besser sein als heute. Und weil ich mit diesen wehen Füßen getanzt habe. Und ich habe dieses Land mindestens zweimal durchquert. Ich habe die Felder von Shiloh und Gettysburg gesehen.» Sie schaute zu der Masse von Dämonen, die sich in dem Raum drängten. «Vor Jahren waren es Schlachtfelder, und dort lagen so viele Leichen, dass die Erde sie nicht alle aufnehmen konnten. Aber heute wachsen Blumen auf diesen Feldern. Ich habe es gesehen.»
«Ich verstehe ‹Blumen› nicht.»
«Blumen sind etwas Wunderschönes», sagte Jin. «Wunderschöne Gebilde, die mit aller Macht ums Überleben kämpfen, obwohl sie sich zwischen Kugeln und Kanonen und Knochen hindurchzwängen müssen. Wunderschöne Gebilde, die es nicht verdienen, dass man sie für die Welt verantwortlich macht, in die sie hineingewachsen sind.»
Bios wandte sich an Ambrose. «Du glaubst nicht daran.»
Der Journalist seufzte. «Früher war die Welt schöner. Auch das Land war schöner. Ich wünschte, du hättest es gesehen, bevor wir es in Stücke rissen.»
«Ich verstehe ‹Land› nicht.»
«Dafür kämpften wir auf den Schlachtfeldern. Zumindest dachten wir das.»
Diese neue Stimme kam von der Tür. Sie wandten sich um.
Es war der grauhäutige Mann, der Tom Guyot Sams Nachricht überbracht hatte, der Mann mit dem Backenbart und den scharfen blauen Augen. Und er war nicht allein. Der Durchgang zum Atrium war voller Männer, und auch ein paar Frauen waren dabei. Sie alle trugen an ihren Kragen und am Ausschnitt ihrer Mieder kleine Sträuße aus wilden Rosen oder Dornenzweige.
«Ich verstehe es nicht», sagte Bios wieder.
«Natürlich nicht. Du musst leben, um es zu verstehen», sagte Tom.
«Also sind Schmerz und Wut akzeptabel, wenn sie dieser Sache dienen, die ‹Land› genannt wird?» Hinter Bios murmelten die Dämonen zornig miteinander.
«Das hat niemand behauptet», sagte Tom. «Nur, dass es etwas ist, von dem wir dachten, es sei wert, dafür zu kämpfen. Vielleicht die einzige Sache, über die sich beide Seiten einig waren. Wir können es dir zeigen.»
« Ein Geist, der sich in die Welt stiehlt, fürchtet alle Menschen », ließ sich Jin vernehmen. «Du kennst die Welt nicht, in die du gestoßen wurdest. Du solltest sie sehen und kennenlernen, ehe du entscheidest, dass sie wertlos ist.»
Bios schaute sie an. «Und wer wird sie uns zeigen?»
Tom und Ambrose wechselten einen Blick. Dann wandten sie sich den Männern und Frauen im Eingang zu. Susannah trat vor. «Wollt ihr es tun?», fragte sie.
«Nein.» Der Dämon schüttelte den Kopf. «Nicht die Kämpfer von den Schlachtfeldern. Wir wollen uns die Welt nicht von Kreaturen zeigen lassen, die so viel getötet haben, dass man dieses Land mit den Knochen der Toten pflastern könnte. Natürlich werden diejenigen, die überlebt haben, sagen, dass sie es verdienen, weiterzuleben.»
«Nun, dann wäre die Sache ja geklärt», sagte Tom. Er nickte zu der Menge, die sich an der Tür drängte. «All diese Leute sind tot.»
29
DIE TOTEN
Tot?» Jin starrte die im Eingang Stehenden an. Sie wirkten so lebendig und wirklich wie jeder andere Mensch, den sie kannte. «Aber wie …?» Sie schaute zu Tom und Ambrose. «Sie sehen nicht anders aus als Sie!»
Tom lächelte traurig. «Manchmal ist es schwer, den Unterschied zu erkennen. Das macht der Krieg. Diejenigen, die überlebt haben, sterben jeden Tag ein bisschen, und die Toten … nun, die finden manchmal keinen Frieden. Nehmt zum Beispiel Ambrose
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