Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
verbergen.
Ich schloss rasch das Zimmer auf, schleppte Ascan ins Bad und wollte ihn auskleiden.
»Nein! Nein! Lass mich!« Er wehrte sich schwach. »Es ist so ekelhaft. Geh doch, geh endlich!«
»Ich lasse dich nicht alleine«, erwiderte ich energisch. »Du klappst gleich zusammen vor Schwäche, ich kenne das. Das kriegt jeder, der zum ersten Mal in Ägypten ist.« Ich hob Ascan einfach in die Badewanne, zog ihn aus, hielt ihn fest und duschte ihn ab. Nun sah ich ihn nackt, ganz und gar, in vollkommener Schönheit, nun hatte ich ihn im Arm – aber unter welchen Umständen.
»Zu dir habe ich es damals gesagt«, flüsterte er zwischen zwei Schüttelfrösten. »Und jetzt stinke ich nach –«
»Vergiss es!«, unterbrach ich ihn rasch.
Ascan wurde abwechselnd von Kälteschauern und Fieberwellen überrollt. Ich trocknete ihn ab, brachte ihn zu Bett, flößte ihm Medikamente und eine Elektrolytlösung ein. Immer wieder begleitete ich ihn auf seinen ungezählten Wegen zwischen Bett und Klosett und wusch ihn jedes Mal wie ein Baby. Er wehrte sich nicht mehr, er war vollkommen geschwächt.
Als er endlich in leichten Schlummer fiel, zog ich mich bis auf den Slip aus und legte mich neben ihn in die andere Hälfte des Doppelbettes, damit ich sofort zur Stelle wäre, wenn er Hilfe brauchte. Da wurde mir erst bewusst, dass ich im gleichen Bett lag wie Ascan, wie mein geliebter Bruder, und dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte, ihn zu besitzen. Ich konnte es selbst kaum glauben. Dieses Peinlichste, Intimste, Menschlichste, das ich mit ihm erlebt hatte, flocht ein neues Band zwischen uns, das es noch nicht einmal in unserer Jugendzeit gegeben hatte. Ich betrachtete sein schweißfeuchtes, aber ruhiges, schönes Gesicht. Unter den geschlossenen Augen lagen dunkle Schatten. Dann streckte ich mich seufzend neben ihm aus. In Sekunden übermannte mich der Schlaf der Erschöpfung.
Am Morgen saß Ascan aufrecht im Bett und sah mich an, als ich erwachte.
»Wie geht es dir?«, fragte ich rasch.
Er antwortete nicht, sah mich nur immer weiter aus seinen großen, dunklen Augen an. Auf seinen hellen Wangen, dem Kinn und der Oberlippe erkannte ich die winzigen, schwarzen Barthärchen.
»Hast du noch diese Leibkrämpfe?«, erkundigte ich mich, weil sein Schweigen mir unheimlich war.
»Es war bestimmt furchtbar für dich, mit mir, gestern«, sagte er schließlich langsam.
Ich versuchte, unbefangen zu lächeln. »Nein, überhaupt nicht. Fühlst du dich denn wirklich besser?«
Er nickte. »Du warst … ein sehr guter Krankenpfleger.« Und nach ein paar Sekunden: »Danke!«
Bevor ich etwas sagen konnte, beugte er sich zu mir hinunter und legte seinen Kopf an meine Schulter.
Ich lag da und atmete nicht, dachte nicht, rührte mich nicht. Ich spürte sein weiches Haar an meiner Haut. Mein geliebter Bruder! Er vertraute mir wieder. Sein ruhiges Atmen ging langsam auf mich über. Fast nackt lagen wir beide zusammen im Bett, stumm, und bewegten uns nicht.
Eine neue Art von Liebe wuchs in mir, eine fürsorgliche, sanfte Liebe, die jede bloße Begierde verachtete und gerade deshalb voller zarter, wundersamer Erotik war. Das also war Liebe – Liebe zu einem Menschen, mit dem man leben möchte, für immer. Den man nicht am Morgen aus seiner Wohnung werfen, sondern den man zärtlich trösten und halten will.
Ich hatte keine Angst mehr, dass er mich zurückstoßen würde. Unendlich sanft nahm ich seine Hand und küsste sie. Er ließ es geschehen. Ich nahm sein schönes Gesicht in meine Hände und küsste seine Wange, seine Stirn, die Augenlider. Brüderlich. Mehr nicht. Dankbar legte er seinen Kopf auf meine breite Brust. Ich umfing ihn schützend, spürte seinen Herzschlag und seinen Atem. Und er umarmte mich. Ein tiefes, unfassbares Glücksgefühl durchströmte mich. Ja, ich war auch erregt, natürlich, wie sollte ich nicht! Aber ich tat nichts. Und es fiel mir leicht. Ich genoss diese wundervolle Erregung wie ein Geschenk, das man nicht auspackt, weil es dann seinen geheimnisvollen Zauber verlieren könnte.
Erst nach einer langen Weile standen wir auf. Ich kam im Bad nicht mehr dazu, auch meine körperlichen Sehnsüchte zu befriedigen, denn wir würden sowieso schon zu spät zum Bus kommen. Trotzdem war es mein glücklichster Morgen seit mehr als neun Jahren. Und über anderes dachte ich nicht nach.
Rê, der Sonnengott, erhob sich in seiner goldenen Barke am Horizont. Die Luft war noch erfrischend kühl, als wir zum Tempel von
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