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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Janus
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Abydos aufbrachen, der heiligsten Wallfahrtsstätte des Osiris, des Jenseitsgottes, aber auch des Gottes der Fruchtbarkeit, der sich erneuernden Kraft des Lebens und der Auferstehung.
    Im Morgenlicht tauchte der Tempel hinter einer Sanddüne auf, so wie die Weltschöpfung sich einst aus einem Urschlammhügel des Nils erhoben hatte. Auf den Darstellungen der vorderen Tempelsäulen hielt der Pharao mit den Göttern Zwiesprache, und im dämmrigen Säulensaal tat sich das alte Ägypten auf in Gestalt unzähliger, farbiger Reliefbilder, dreitausend Jahre alt und dabei so frisch wie am ersten Tag.
    Meine Kollegen schwärmten begeistert aus und verteilten sich in den zahlreichen Kapellen, Gängen und Seitengelassen der Tempelanlage. Karím ließ uns taktvoll allein. Ich blieb mit Ascan im Säulensaal zurück, an der heiligsten Stätte des Osiris, und sah seine geliebten, lebendigen Augen an.
    »Was war mit diesem Osiris?«, fragte er. »Erzähl mir die Geschichte.«
    »Komm mit.«
    Ich zog Ascan in einen kleinen Seitenraum, der fensterlos und völlig dunkel war. Ich nahm meine Stablampe, die ich auf Exkursionen immer dabei hatte, aus der Jackentasche und ließ den schmalen Lichtkegel über die Wandreliefs gleiten, über die farbigen Bilder der Osiris-Legende, der Geschichte von der Liebe, die alles andere besiegte.
    »In der Vorzeit war Osiris König«, begann ich. »Er hatte drei Geschwister: Isis, die gleichzeitig seine Gemahlin war«, an dieser Stelle machte ich eine winzige Pause, »den bösen Seth und dessen Schwester-Gattin Nephtis. Da Osiris beim Volk beliebter war als Seth, tötete der seinen Bruder. Aus Angst vor einer Auferstehung des Osiris zerstückelte Seth seinen Körper und verstreute die Teile im ganzen Land. Den Phallus jedoch«, ich atmete tief durch, »warf er in den Nil, wo er von den Fischen gefressen wurde.«
    »Was für eine grässliche Geschichte«, sagte Ascan schaudernd.
    »Sie geht noch weiter.« Ich leuchtete die nächsten Reliefbilder an. »Die treue Isis sammelte die Körperteile, und Anubis, der Gott der Einbalsamierer, half ihr, den Körper wieder zusammenzusetzen. Da aber der Mensch nach dem Tod nur weiterleben kann, wenn er ganz vollständig ist, ersetzte Anubis den fehlenden Phallus durch einen künstlichen. Deshalb wird Osiris so oft mit einer Erektion dargestellt, weil der neue Phallus immer steif –«
    »Ach, Hagen!«, unterbrach mich Ascan mit einem vorwurfsvollen Unterton. »Du kannst einfach immer nur daran denken.«
    Ich knipste die Lampe aus und steckte sie in die Tasche. Wir standen beide dicht nebeneinander im Dunkeln.
    »Ich habe dir bewiesen, dass ich auch an etwas anderes denken kann«, sagte ich etwas enttäuscht.
    »Ja … das stimmt. –  Warum hast du das vorher nie getan?«
    »Du hast mir keine Gelegenheit dazu gegeben.«
    »Weshalb hätte ich dir die Gelegenheit geben sollen?«
    Ich zögerte einen Augenblick. Dann sagte ich es ihm, sagte es ihm zum ersten Mal nach so vielen Jahren, hier in der bergenden Dunkelheit der Osiris-Kapelle: »Ich liebe dich. Seit achtundzwanzig Jahren liebe ich dich, Ascan! Ich habe noch nie einen andern wirklich geliebt, immer nur dich.«
    Er schwieg, und ich konnte nicht sehen, ob er entsetzt, ungläubig, nachdenklich oder wütend aussah. Ich wagte nichts mehr zu sagen.
    »Was hast du dir dabei gedacht, Hagen?«, fragte er endlich sehr leise. »Es ist wahnsinnig, seinen Bruder zu lieben.«
    Er hatte es ausgesprochen: s einen Bruder zu lieben ! Ich spürte, dass meine Hände leicht zitterten.
    »Ich weiß. Aber das Herz denkt nicht.«
    »Der Schwanz wohl auch nicht«, meinte er spöttisch. »Ich habe nur erlebt, dass du über mich hergefallen bist wie ein geiler Ziegenbock. Das ist nicht das, was ich unter Liebe verstehe.«
    »Niemand war darüber zerknirschter als ich. Die Erregung ist einfach mit mir durchgegangen, weil ich mich schon so viele Jahre beherrscht hatte. Aber ich konnte es nicht mehr ungeschehen machen. Und ich war zu jung, um den richtigen Ton dir gegenüber zu finden, damit du mir vielleicht verzeihen konntest.«
    »Selbst wenn ich dir verziehen hätte – was hättest du dann getan? Wolltest du mit mir vor allen Verwandten und Freunden an den Traualtar treten und versprechen, mich zu lieben und zu ehren, bis der Tod uns scheidet?«
    Es sollte wohl ironisch klingen, aber es klang nicht so, jedenfalls nicht in meinen Ohren. Und da fiel mir plötzlich auf, was an unserem ersten, lange ersehnten klärenden Gespräch anders war

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