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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Vorstellung. Ohne mich umzusehen entschied ich, daß Oliver zu mir gekommen sein mußte. Und in meinem traumatischen, triebhaften Zustand konnte ich mich selbst davon überzeugen, daß es Oliver war, es mußte ganz einfach Oliver sein. Und so war ich einen Moment lang recht verwirrt, als ich mich schließlich umdrehte und Eli sah. Er saß still an der gegenüberliegenden Wand. Schon bei seinem ersten Besuch war er ziemlich depressiv erschienen, aber jetzt – zehn Minuten später? eine halbe Stunde später? – machte er den Eindruck völliger Auflösung. Niedergeschlagene Augen, herabhängende Schultern. „Ich verstehe einfach nicht“, sagte er dumpf, „wie diese Beichte irgendeinen Wert haben sollte, ob real, symbolisch, metaphorisch oder sonstwie. Ich glaubte, ich hätte es begriffen, als Bruder Javier das erste Mal zu uns darüber sprach. Aber jetzt bekomme ich einfach keinen Sinn hinein. Warum? Warum?“
    „Weil sie es verlangen“, sagte ich.
    „Was hat das damit zu tun?“
    „Es ist eine Frage des Gehorsams. Aus dem Gehorsam erwächst die Disziplin, aus der Disziplin die Kontrolle und aus der Kontrolle die Kraft, die Mächte des Verfalls zu besiegen. Gehorsam ist Anti-Ungewißheit, Ungewißheit unser Feind.“
    „Wie zungenfertig du bist“, sagte er.
    „Zungenfertigkeit ist keine Sünde.“
    Er lachte und gab keine Antwort. Ich bemerkte, daß er an einer Grenze stand, daß er sich auf dem rasiermesserscharfen Grat zwischen Gesundheit und Wahnsinn bewegte. Und ich, der ich mein ganzes Leben lang auf diesem Grat entlanggeschritten war, wollte nicht derjenige sein, der ihn in den Abgrund stieß. Die Zeit verging. Meine Vision wich von mir, und Oliver verblaßte und wurde unwirklich. Ich hegte deswegen keinen Groll gegen Eli; dies war seine Nacht. Endlich erzählte er mir von einem Essay, den er mit sechzehn Jahren geschrieben hatte, in seinem letzten Jahr auf der High School. Einen Essay über den moralischen Zusammenbruch des Weströmischen Reiches anhand der Degeneration des Lateins in die verschiedenen romanischen Sprachen. Er konnte sich selbst jetzt noch an eine ganze Menge von dem erinnern, was er damals geschrieben hatte. Er trug längere Passagen daraus vor, und ich hörte nur halb hin, gewährte ihm das höfliche Vorgeben von Höflichkeit, aber nicht mehr. Denn obwohl sich der Essay in meinen Ohren brillant anhörte – eine bemerkenswerte Arbeit für einen Wissenschaftler jeden Alters und ganz bestimmt erstaunlich für einen sechzehnjährigen Jungen –, hatte ich in diesem Moment auch nicht die leiseste Lust, etwas über die ethischen Implikationen zu hören, die in den Entwicklungsmustern des Französischen, Spanischen und Italienischen zu finden waren. Aber mit der Zeit verstand ich immer mehr Elis Motive, mir diese Geschichte zu erzählen, und ich schenkte ihm mehr Aufmerksamkeit. Ganz offensichtlich beichtete er mir. Denn er hatte den Essay für einen Wettbewerb geschrieben, der von einer angesehenen Bildungsgesellschaft ausgerichtet worden war. Eli hatte gewonnen und dafür ein großzügiges Stipendium erhalten, das ihm den Besuch am College ermöglichte. Eigentlich lag seine ganze akademische Karriere in dieser Arbeit begründet, denn sie war in einer führenden philologischen Zeitschrift abgedruckt worden und hatte ihn zu einer gefeierten Persönlichkeit in diesem Zweig der Wissenschaft gemacht. Die Türen aller Bibliotheken standen ihm offen; er hätte sicher keine Möglichkeit gehabt, jenes gewisse Manuskript zu finden, das uns zum Haus der Schädel geführt hatte, wenn er nicht diesen meisterlichen Essay geschrieben hätte, auf den sich sein Ruhm gründet. Und – so erklärte er mir im gleichen ausdruckslosen Tonfall, in dem er kurz zuvor unregelmäßige Verben erläutert hatte – das grundlegende Konzept seiner Essays war nicht auf seinem Mist gewachsen. Er hatte es gestohlen.
    Na also! Die Sünde von Eli Steinfeld! Keine unbedeutende sexuelle Verfehlung, keine jugendlichen Abenteuer wie Unzucht oder gegenseitiges Masturbieren, kein Inzest daheim mit der sich nur schwach wehrenden Mutter, sondern ein intellektuelles Verbrechen; das schlimmste von allen. Kein Wunder, daß er davor zurückschreckte, es zuzugeben. Doch jetzt strömte die ganze belastende Wahrheit heraus. Sein Vater, sagte er, aß eines Nachmittags in einem Automatenrestaurant auf der Sixth Avenue zu Mittag und bemerkte einen kleinen, grauen, verwelkten Mann, der allein dasaß und ein dickes, unhandliches Buch

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