Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Natürlich hat es in der Geschichte unserer Partei schwerwiegende Auseinandersetzungen gegeben. Die vielleicht schwierigste war der Bundesparteitag in Hannover 1967 , der über die Oder-Neiße-Linie gestritten hat. Die Auseinandersetzung um die Ostgrenze hat die Partei innerlich fast zerrissen, aber am Ende hat sie gestanden, zusammengestanden.
    LINDNER
    Das macht für mich auch die historische Stärke der FDP aus. Liberale Individualisten, die miteinander etwas erarbeitet haben, sich aneinander gerieben haben. Gerade dadurch waren die Argumente der FDP , die sie öffentlich vorgetragen hat, besser als die der anderen.
    Später gab es mitunter eine Art Glaubenskongregation, die auch mal den Bannstrahl auf den Einzelnen richten konnte, wenn er von den hergebrachten, als Wahrheit erkannten Positionen abrückte. Nehmen Sie das Thema Lohnuntergrenzen, über das wir gesprochen haben: In der FDP kam es bei diesen Fragen oft zum Gegenschlag: Um Gottes willen, das sei nicht liberal. Eine bestimmte Position wird also nicht damit erklärt, dass sie richtig oder falsch sei, sondern »nicht liberal«. Dabei muss doch darum gerungen werden, was das denn in einer konkreten Frage bedeutet: »liberal«.
    GENSCHER
    Das ist auch wieder so ein Totschlagargument. Ich möchte noch hinzufügen, Herr Lindner, dass die FDP sich dadurch natürlich auch in ihren Handlungsräumen eingemauert hat. Nach dem Motto: Mit uns nicht zu machen! Kommt gar nicht infrage! Auf gar keinen Fall! Oft hat sich dann gezeigt, dass es doch zu machen war – und auch mit uns.
    LINDNER
    Die FDP muss den Mut entdecken, kontrovers, aber respektvoll über große Fragen und Werte zu streiten. Gewinnt eine Partei nicht dann Vertrauen, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass sie ihre Argumente erst nach einem inneren Ringen um die richtige Position vorbringt?
    GENSCHER
    Ich will Ihnen sagen, dass für mich der Charme der liberalen Idee genau darin besteht, dass sie von sich nicht behauptet, über letzte Antworten zu verfügen. Das gilt für alle Bereiche. Liberalität beinhaltet für mich auch die Fähigkeit, ständig neu infrage zu stellen, was wir als gesicherte Erkenntnis betrachtet haben. Das unterscheidet sie von Ideologien, die schon genau wissen, wie es alles kommen wird. Das wissen wir nicht. Aufgabe der jungen Generation liberaler Politikerinnen und Politiker ist es nun, treibende Kraft für neue Ideen zu sein – um das Prä der FDP , nämlich das Weiterdenken, zu erhalten. Die FDP ist nicht die Partei der revolutionären Forderungen, sondern die der evolutionären Veränderung. Es ist Aufgabe einer liberalen Partei, diesen Gedanken Raum zu geben.
    LINDNER
    Um es frei nach Richard von Weizsäcker zu sagen: Unsere Partei sollte Brücken bauen, statt Gräben zu festigen.
    GENSCHER
    Ja, schlagen Sie Brücken, Herr Lindner. Sie können das.

Über die Autoren
    Hans-Dietrich Genscher
, Jahrgang 1927 , war unter anderem Bundesinnenminister, danach 18 Jahre Bundesaußenminister und elf Jahre Parteichef der Liberalen. Er hat die deutsche Einheit und den Weg zu einem geeinten Europa maßgeblich mitgestaltet. Mit seinen 85 Jahren ist der FDP -Ehrenvorsitzende noch immer eine der bedeutenden Stimmen der deutschen Politik.
     
    Christian Lindner
, Jahrgang 1979 , Landesvorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Fraktion im Landtag, gehört zu den profilierten Köpfen des politischen Liberalismus in seiner Generation. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär seiner Partei. Mit seinem jüngsten Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen hat er gezeigt, dass eine FDP mit neuen Prioritäten auch neues Vertrauen gewinnen kann.

Impressum
    Die Gespräche, moderiert von Gunter Hofmann, wurden zwischen Dezember 2012 und Februar 2013 in Bonn geführt.
    Redaktionsschluss: 14 . Februar 2013 .
     
    Copyright © 2013 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
    Covergestaltung: Katja Maasböl, Hamburg
    Foto: Michael Dannenmann
    ISBN 978-3-455-85069-7
     
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