Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Lindner, Sie haben ein klassisches Beispiel genannt, das eigentlich für alle anderen steht – es gibt sicher auch noch ein paar andere erwähnenswerte Kritikpunkte. Die Hotelsteuer war besonders bedauerlich, weil sie sozusagen als die erste Leistung der FDP in der neuen Regierung mit Angela Merkel betrachtet wurde. Das muss man einfach nüchtern so sehen, wie es wirkte, und daraus seine Konsequenzen ziehen.
LINDNER
Es ist ja leider genauso, wie Sie sagen. Im Umgang mit solchen Lageanalysen gibt es in der Politik zwei Schulen, wie ich gelernt habe. Die eine sieht im Eingeständnis von Irrtümern und Fehlern eine Schwäche. Diese Stimmen gab es teilweise auch in der FDP -Führung, die dann zum besonders harten Angriff auf den politischen Gegner geraten haben, um uns selbst zu entlasten. Für eine Regierungspartei hielt und halte ich das für wenig souverän – die sollte durch die Ergebnisse ihrer Arbeit überzeugen und der Opposition gar keinen Raum für Tiefschläge lassen. Die andere Schule sieht in der Fähigkeit zur Selbstkorrektur hingegen einen Ausdruck von Führungsstärke. Deshalb meine ich, dass wir gut daran tun, bestimmte Probleme offen anzusprechen.
GENSCHER
Für die Menschen, die es im Prinzip gut mit der FDP meinen, sollte erkennbar sein, dass alle, die in dieser Partei Verantwortung tragen, die Lage klar analysieren und aus ihr Konsequenzen ziehen. So kann wieder Vertrauen wachsen.
LINDNER
Der Vorwurf des Klientelismus selbst ist allerdings bisweilen bizarr, das will ich in aller gebotenen Demut sagen. Gerade wenn man sich ansieht, wer ihn erhebt. Die liberalen Gesundheitsminister Philipp Rösler und Daniel Bahr haben beispielsweise ein historisch sicherlich einmaliges Rabattpaket gegen die Pharmaindustrie durchgesetzt, mit dem sie sich nicht viele Freunde in der Branche gemacht haben. Als die sozialdemokratische Vorgängerin früher einmal Vergleichbares versucht hat, wurden die Konzernchefs auf einen guten Rotwein ins Bundeskanzleramt eingeladen – und am nächsten Tag war das Vorhaben entschärft. Die Grünen verteidigen heute unverhohlen die Interessen der Solarlobby auch gegen die schmalen Brieftaschen der Rentnerin und des Studenten, die über ihre Stromrechnung hohe Renditen garantieren müssen. Gleichzeitig versucht Sigmar Gabriel unseren Einsatz für den Mittelstand als Klientelpolitik für »reiche Erben« zu diskreditieren. Man muss in Erinnerung rufen, dass dort zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind und über 80 Prozent der Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das sind die Familienunternehmen, deren Inhaber nicht auf die Maximierung des Quartalsgewinns setzen, sondern auf die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswerts für die nächste Generation. Das sind die Betriebe, die in der Konjunkturkrise nicht die Belegschaften auf die Straße geschickt, sondern ihre Beschäftigten gehalten haben. Der Mittelstand macht unsere soziale Stabilität aus, weshalb andere uns zu Recht um diese Wirtschaftsstruktur beneiden. Wenn das die sogenannte Klientelpolitik sein soll – dann sollte man den Vorwurf mit Blick auf die Arbeitsplätze von Millionen Menschen vielleicht sogar als Bestätigung betrachten.
GENSCHER
Oft genug sind es ja Stilfragen. Ein grundlegendes Problem ist, dass die FDP den Begriff der sozialen Gerechtigkeit für ihre Politik nicht aufgeben darf. Schließlich definiert das Grundgesetz unseren Staat als einen sozialen Rechtsstaat. Wir haben wiederholt davon gesprochen, dass Ludwig Erhard unsere Wirtschaftsordnung bewusst »soziale Marktwirtschaft« genannt hat. Der Eindruck sollte nicht unwidersprochen bleiben, die FDP pflege eine Klientel, statt sich um Gerechtigkeit zu kümmern.
LINDNER
Darin stimmen wir überein. In diese Debatten kann und muss die FDP sich einschalten und Partei ergreifen – im Zweifel für die Einsteiger, Wiedereinsteiger und Aufstiegswilligen und nicht für die Privilegien der Etablierten und Mächtigen, weil die gut auf sich selbst achten können. Ich verstehe unter Gerechtigkeit aber ausdrücklich nicht Gleichheit. Freie Entscheidungen verschiedener Menschen müssen auch zu sozialer und ökonomischer Vielfalt führen. Mehr noch: Erst das Recht, sich unterscheiden zu dürfen, ist doch die Quelle von Hoffnung und Antrieb. Wenn die eigene Anstrengung im Ergebnis keinen Unterschied macht – wozu dann? Also verstehen wir Bildung als Bürgerrecht, das heißt als Bildungsgerechtigkeit. Ralf Dahrendorf hat Bildung
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