Brüder und Schwestern
er jenen Papieren nicht so viele neue hatte hinzufügen können, sich verlegen räusperte.
Plötzlich schien Clara etwas eingefallen zu sein: Ihre Augen ruckten an den Punkt in der unendlichen Dunkelheit, an dem sie Herbert Rabe vermutete, und gleich wieder zurück, ein unergründliches Lächeln umspielte ihren faltigen Mund, auch schon wieder vorbei. »Luischen«, sagte sie, »hör zu, er hat seinem Sohn noch was übergeben, was ihm wichtig war«, wieder dieses kurze Lächeln zu Rabe hin, der nun aufmerkte, der ahnte, daß die Alte gar nicht zu ihrem »Luischen« sprach, »und das hat nicht gebröselt, nicht wahr, das wird nie bröseln. Weil es sehr, sehr hart ist.«
Achim schob ihr den Teller mit dem zerkleinerten Gericht vor die Nase, sie hörte es an dem Schleifgeräusch, suchte, vorerst vergebens, ihr Besteck, erklärte, als hätte sie auf einmal das Interesse verloren: »Ach was, erzähle du, mein Sohn, ich muß jetzt essen. Wer weiß, ob ich in meinem Leben nochmal so etwas kriege.«
»Wovon soll ich erzählen.« Achims Frage war, wenn man genau hinhörte, der Wunsch, jetzt lieber zu schweigen.
»Das weißt du doch«, antwortete Clara, »von dem Knüppel.«
»… Ach … nun«, hob Achim an, »… na gut. Aber da gibt’s eigentlich gar nicht so viel zu erzählen, Marieluise. Mein Vater hatte ja von früher noch einen Gummiknüppel. Den hat er mir dann irgendwann übergeben.«
Clara wartete, ihr Besteck nun endlich in den Händen haltend, daß er fortfuhr. Als sie gewahr wurde, er tat es nicht, runzelte sie die Brauen und fragte Achim wie eine Staatsanwältin einen Zeugen: »Und wie sah dieser Knüppel denn aus?«
»Außen Leder, innen … innen Blei«, brummte Achim, verstohlen zu Willy blickend. Es war dessen Feier. Er hatte wirklich kein Interesse, ihm jetzt irgendwelche Probleme zu bereiten.
»Und was befand sich auf dem Leder?«
Ach, ihr Achim wollte wohl partout nicht antworten, da tat sie es selber, ihre zittrigen Fäuste umklammerten derweil Messer und Gabel, die wie windgeschüttelte Standarten nach oben ragten. »Blut, altes. Vor allem an den Kanten war es heruntergelaufen«, berichtete sie triumphierend, während Herbert Rabe, sich an gewisse ihm zugefügte Wunden erinnernd, seinen Oberkörper an die Stuhllehne drückte. »Es ist nämlich kein runder Gummiknüppel gewesen, mußt du wissen, Luischen, sondern einer mit drei Kanten. Und an den Kanten«, wiederholte Clara genüßlich, »da ist natürlich das Blut heruntergelaufen, das ist nicht anders als beim Wasser, das sich auch immer die Ecken sucht, wenn es an irgendeinem Klinkerstein herunterrieselt, nicht wahr.«
Stille trat ein.
Achim dachte an die damalige Übergabe. Sie hatte etwas Übertriebenes gehabt, etwas unpassend Zärtliches und Weihevolles, das er nicht so recht nachvollziehen konnte: Sein Vater legte ihm den Knüppel, mit dem er einst ehrenvoll gefochten hatte, nicht etwa auf den Tisch, denn bitte, dies war keine Zervelatwurst, die er gerade im Konsum gekauft hatte, sondern beließ ihn in der Luft, bis Achim halbwegs die Tragweite des Augenblicks verstand und das Ding, so, genau so sollte es ja wohl geschehen, von unten ergriff, es auch nicht gleich wegzog, sondern dem Alten die Chance bot, es langsam loszulassen, sich angemessen zu verabschieden von dem Utensil, dem längst museumsreifen.
Herbert Rabe stemmte seine Sohlen lautlos auf das Eichenholzparkett des Gewölbes, so daß es leicht nachgab und ein kurzes Knarren ertönte. Seine dunkel umringten Augen starrten indes wie unbeteiligt geradeaus, wo nur ein leerer Stuhl stand.
Matti wiederum ließ seinen Blick verstohlen am Hals seiner Nachbarin Catherine entlangstreifen, der aus purer Bronze zu sein schien, so wie Catherine überhaupt ganz der Vater war: ihre schwarzen Haare, die sie sich, mit beiden Händen zugleich, gern hinter die Ohren strich, ihre feingliedrigen, an den Gelenken tiefbraunen Finger, ihre weichen, sicheren Gesten – alles von Aziz. Völlig anders als ihre wilde, fröhliche Freundin Britta war sie, sanfter, zurückhaltender. Plötzlich mochte Matti Catherine berühren. Aber sogleich unterdrückte er seinen Wunsch wieder, unsittlich erschien der ihm, schmierig sogar. Er konnte nicht vergessen, wie dieses Mädchen noch im Sommer heulend im Garten der Werchows herumgerannt war. Matti hatte dort gelegen und gelesen, eines der Bücher, die sein Vater aus dem »Aufbruch« heimbrachte, ohne sie dann eines Blickes zu würdigen, und Britta und Catherine
Weitere Kostenlose Bücher