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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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hatten im Auftrag Ruths Kirschen ernten wollen. Sie steigt also auf die Leiter, Catherine, gar nicht hoch, nur zwei oder drei Stufen, und versucht, zur Seite zu langen, da ratscht die Leiter auf die entgegengesetzte Seite und fällt um. Dem Mädel ist nichts passiert, das sieht man, doch wie gesagt, plötzlich fängt es hilflos an zu weinen. Er hat es in den Arm nehmen müssen wie ein kleines Kind … Nein, sagte er sich noch einmal, nein.
    Und Heiner Jagielka, was tat jetzt der? Noch einen Schnaps kippte er, dann unternahm er einen weiteren Versuch, mit Marieluise ins Gespräch zu kommen. Er deutete auf das goldene Amulett mit den gewölbten Zwillingen vor ihrer Brust und fragte, »ob es sich dabei vielleicht zufälligerweise um das Tierkreiszeichen der gnädigen Frau« handele.
    »Zufälligerweise ja«, sagte Marieluise. Sie bedeckte mit einer Hand das Amulett, als müsse sie es vor Jagielka, der offensichtlich ein Säufer war, schützen.
    »Oh, Sie haben Angst, gnädige Frau, Sie denken, ich hätte schon zuviel getrunken«, sagte Jagielka mit überraschend klarer Stimme.
    »… Nein … nein«, stotterte Marieluise.
    Er nahm es generös auf und sagte dann kennerhaft: »Ein schönes Stück. Ausgesprochen sauber geprägt. Dürfte ich wissen, woher Sie es haben?«
    Nein, wollte Marieluise antworten. Seit ihrer Rückkehr aus Ägypten vermutete sie nämlich, ihre andauernde Verbindung dorthin riefe doch nur Neid bei den Mitmenschen hervor. Sie bildete sich ein, keiner glaube an Liebe und jeder an Berechnung, und täuschte sie sich da vielleicht? In den schmalen Gassen des Städtchens tuschelte man, erst habe sie es nicht ausgehalten mit ihrem Aziz, sonst wäre sie ja wohl nicht Hals über Kopf von ihm geflüchtet, und nun nutze sie ihn mit weiblicher Durchtriebenheit aus und bringe ihn dazu, ihr immer mehr Geschenke zu machen. Freilich sagte ihr das niemand ins Gesicht. Im Gegenteil, voller Liebdienerei bevölkerten die Gerberstedter, auch die gar nicht so kranken, Marieluises Sprechstunde – mit der Unterwürfigkeit derer, die einen Hauch Exotik erhaschen wollten, ausgerechnet hier in ihrer Praxis, zwischen Türmen von Mull, auf halb durchgescheuertem Pritschenleder, unter kalt blinkendem Stethoskop. Empört hochgefahren wären sie alle, hätte sie jemand mit ihren Wünschen konfrontiert, ganz ehrlich empört, denn sie wußten ja selber nicht, welche Umwege diese Wünsche nahmen, an welch unschuldige Stellvertreterin sie sich gerade hefteten.
    »Aus Ägypten, denke ich mir«, so antwortete Heiner Jagielka sich selbst.
    Marieluise horchte in seiner Stimme nach irgendwelchen Anzeichen von Mißgunst. Aber da waren keine. Da war ein anderer Unterton, einer, über den sie nur rätseln konnte.
    »Es steht Ihnen sehr«, schmeichelte er nun, »es ist ein einmaliges Stück. Und trotzdem, gnädige Frau, meine ich, so etwas könnte hier vielleicht öfter zu sehen sein.«
    Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, skeptisch starrte sie ihn an. Da beeilte er sich zu versichern: »Es würde ja die Einmaligkeit nicht verringern, wenn man es«, jetzt übertrieb er aber langsam seine Schmeichelei, »nicht nur an Ihrem schönen Hals bewundern könnte. Zumal es zwölf Tierkreiszeichen gibt, wenn ich nicht irre. Ein Zwilling begegnet auf der Straße nicht so vielen Zwillingen, ein Skorpion nicht so vielen Skorpionen, Sie verstehen, gnädige Frau?«
    »Nicht im geringsten.«
    Jagielka beugte sich vertraulich zu ihr: »Es ist auch nur so eine Idee, die mir gerade durch den Kopf geschossen ist. Ich bin da machtlos. Manchmal zerstechen mir die Ideen, Sie werden vielleicht sagen, nicht Ideen sind das, sondern Verrücktheiten, ganz egal, meinetwegen die Verrücktheiten zerstechen mir den Kopf, raus in die Welt wollen die, und ich kann nichts dagegen tun, gar nichts.« Beinahe in ein Jammern war er verfallen.
    »Sie schweifen ab«, sagte Marieluise. »Vielleicht sollten Sie mir einfach mitteilen, was Sie wollen.«
    Jagielka schlenkerte ein wenig mit dem Körper hin und her. »Ich weiß nicht … aber wenn ich nun schon davon angefangen habe … nun, mir ist die Idee gekommen, daß man das Herz noch so mancher Frau erfreuen könnte, wenn man, also wenn Herr Aziz noch mehr dieser Goldstücke hierher expedieren …«
    »Was denken Sie sich!« unterbrach ihn Marieluise.
    »… Moment«, Heiner Jagielka hob besänftigend die Hände, »verstehen Sie mich nicht falsch: Es wäre natürlich etwas ganz anderes als bei Ihnen, es wäre ein

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