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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Verlangen, gleichgesetzt. Doch bei Augustinus bekommt dieses Wort wieder seine ursprüngliche Bedeutung von Sehnsucht. Er spricht davon, dass jedes menschliche Verlangen und Begehren letztlich über diese Welt hinauszielt. Thomas von Aquin hat diese Vorstellung des Augustinus aufgegriffen und die Lehre vom desiderium naturale entwickelt. Der Mensch hat eine angeborene Sehnsucht nach der Gottesschau, nach der Vereinigung mit Gott. Er kann seine Menschwerdung nur vollenden, wenn er mit Gott eins wird.

    Das deutsche Wort „Sehnsucht" sagt uns in seinen Bestandteilen noch etwas anderes: Es ist zusammengesetzt aus den zwei Bestandteilen: „Sehne" und „Sucht". Das erinnert an die Sehne, die gespannt ist, wenn der Mensch zum Sprung ansetzt, oder an die Bogensehne, bevor der Pfeil abgeschossen wird. Sehnsucht hat also mit einem inneren Gespanntsein zu tun. Mit seiner ganzen Energie wartet der Mensch auf den Sprung, um das zu greifen, worauf seine Sehnsucht zielt, oder auf den Schuss, der ins Ziel trifft. Der Duden sagt, dass das Wort „sich sehnen" nur im deutschen Sprachgebiet gebraucht werde. Er verbindet es nicht mit der „Sehne", sondern mit dem mittelhochdeutschen Wort „senen = sich härmen, liebend verlangen". Es klingt das Schmerzliche mit und erinnert an eine Liebe, die noch nicht erfüllt ist. Der Verliebte sehnt sich nach der Freundin, um sich ihrer Liebe zu vergewissern. Sehnsucht kann auch wehtun. Wer verliebt ist, ist ganz und gar auf den geliebten Menschen ausge richtet und wartet darauf, dass seine Liebe erwidert wird. Er hat den Eindruck, er würde sterben, wenn seine Liebe ins Leere ginge.
    Das Wort „Sucht" kommt nicht von „suchen", sondern von „siech sein, krank sein". Sucht meint also ein krankhaftes Verlangen, eine krankhafte Abhängigkeit. Sehnsucht ist aber keine Abhängigkeit von einem Stoff wie Alkohol oder Drogen, auch nicht von Geltung oder Ruhm. Die Sehnsucht zielt auf etwas anderes, auf Heimat, Geborgenheit, Glück, Liebe, Schönheit, Erfüllung. Sie zielt auf die Vollendung. Aber wie der Mensch sich manchmal krank vor Liebe fühlt, so kann auch die Sehnsucht nach dem Ewigen in ihm so stark werden, dass er keinen Geschmack mehr am Alltäglichen findet. Dann fühlt er sich krank vor Sehnsucht. Die Verbindung von Sehnen und Sucht hat wohl dazu geführt, dass im letzten Jahrhundert das Wort „Sehnsucht" verpönt war. Man assoziierte damit eher etwas Krankhaftes. Menschen geben sich ihrer Sehnsucht nach Unerfüllbarem hin, anstatt sich den konkreten Herausforderungen der Gegenwart zu stellen. Die Romantik war noch voller Sehnsucht. Eichendorff und Novalis sind Zeugen dieser romantischen Sehnsucht. Für sie und ihre Zeit ist es ein durchaus als positiv und wertvoll verstandenes authentisches Gefühl. Doch nachdem Sehnsucht als Flucht vor der Wirklichkeit verfälscht wurde, mied man lange Zeit dieses Wort. Es verschwand aus dem Wörterbuch der positiven Emotionen. Erst in unserer Zeit ist es wieder zu einem Urwort geworden. 
    Die Menschen spüren, dass unser Leben ohne Sehnsucht langweilig wird. Es verliert die Spannung, die Offenheit für das Geheimnis, die Weite und Lebendigkeit. Wir leben in der Spannung zwischen der Kraft, die in der „Sehne" steckt, und der krankhaften Trägheit der Sucht. Wenn nur ein Pol - Ruhe oder Anspannung gelebt wird, wird der Mensch krank. Wer nur die Ruhe sucht, versinkt leicht in Bequemlichkeit. Wer nur auf seine Sehne, auf seine eigene Kraft baut, verausgabt sich. Dann reißt die Sehne. Wenn jemand süchtig wird, verliert er seine Freiheit. Die Anstrengung des Sehnens muss in die angespannte, aber zugleich gelassene Haltung der Sehnsucht einmünden. Und die Sucht muss in die Dynamik und Kraft der Sehnsucht verwandelt werden. Nur so kann sie geheilt werden.
    Vielleicht sind viele der Süchte, die wir heute beobachten, Ausdruck verdrängter Sehnsucht. Daher ist es höchste Zeit, und ein Zeichen von Realismus, sich wieder seiner eigenen Sehnsucht zu stellen. Nur wenn wir uns ihr stellen, sie anerkennen und in unser Leben integrieren, können wir frei werden von der Sucht, die uns im Griff hat. Die Sehnsucht hält uns nicht fest. Sie weitet unser Herz und lässt uns frei atmen. Sie verleiht unserem Leben seine menschliche Würde.

    II. WIE WIR SIND. UND WIE WIR SEIN  KÖNNTEN

    ZIGEUNER IM SESSEL

    Anthony de Mello erzählt gerne Geschichten, die uns über unsere eigene Realität aufklären. Wir sind im Käfig der Gewohnheiten eingesperrt, sagt

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